Um kurz vor 23 Uhr war es Markus Söder, der als Erster aus dem Besprechungsraum im Jakob-Kaiser-Haus Richtung Fahrstuhl ging. Gut sieben Stunden Gespräch lagen da hinter den Verhandlerinnen und Verhandlern. Söder wählte den direkten Weg, fuhr mit dem Aufzug in die Tiefgarage. Hubertus Heil, Anke Rehlinger und Manuela Schwesig mogelten sich nach Aufzugfahrt ins Erdgeschoss an den wartenden Journalisten vorbei. Mehr als „Gute Nacht“ war ihnen aber nicht zu entlocken. Das zeigt, was auf dem Spiel steht: Nichts soll nach außen dringen. Außerdem geht es heute um 8 Uhr ohnehin weiter mit Vorgesprächen, danach wird weiter sondiert.
Was zuvor geschah: Das Papier der vier Ökonomen Clemens Fuest, Michael Hüther, Moritz Schularick und Jens Südekum kursierte kurz vor Beginn der zweiten Sondierungsrunde im Regierungsviertel – und lag als Tischvorlage bei den Sondierern. Darin enthalten: ein Plan für zwei Sondervermögen in Höhe von insgesamt bis zu 900 Milliarden, die an der Schuldenbremse vorbei geschaffen werden könnten. Die Ökonomen sollen sich demnach am Donnerstag getroffen haben, um auf Initiative des saarländischen Finanzministers Jakob von Weizsäcker (SPD) die „anstehenden finanzpolitischen Handlungsoptionen“ für die Sondierungen auszuloten.
800 bis 900 Milliarden: In dem Dokument führen die Ökonomen in zwölf Punkten aus, wie der alte Bundestag noch vor Beginn der neuen Legislatur das „SV Bundeswehr“ aufstocken und ein weiteres „SV Infrastruktur“ danebenstellen soll. Beide Sondervermögen sollen demnach „sehr groß dimensioniert“ sein, vor allem als „Signal an Putin, dass Deutschland es ernst meint“. Für die Bundeswehr biete sich eine Größenordnung von 400 Milliarden Euro an, für die Infrastruktur mindestens derselbe Betrag, aber eher 400 bis 500 Milliarden Euro. Das sei abhängig von den einzubeziehenden Infrastrukturbereichen, schreiben die Ökonomen.
Belastbares Commitment: Eine Reform der Schuldenbremse im alten Bundestag sei illusorisch – aber im neuen Bundestag keinesfalls vom Tisch. Vielmehr müsse in den Koalitionsgesprächen ein „belastbares Commitment stehen, dass eine Reform der SB im Laufe der Legislatur kommt“. Hierfür sei auch eine Verständigung mit den Linken notwendig. Die Sondervermögen würden die Koalition unmittelbar handlungsfähig machen, heißt es. Sollte eine Reform der Schuldenbremse dann zeitnah gelingen, könne es dazu führen, dass sie nicht vollständig abgeschöpft werden müssen: Deren Höhe sei deshalb als „bis zu“-Klausel zu verstehen. Das gelte auch mit Blick auf einen möglichen europäischen Verteidigungsfonds.
Vorsicht an der Bahnsteigkante: Ein zentrales Problem dieser Lösung seien die Substitutionseffekte, von den Ökonomen auch als „Verschiebebahnhof“ bezeichnet. Heißt: Sobald ein „SV Infrastruktur“ komme, würden Bund, Länder und Kommunen in ihren Kernhaushalten die Investitionen herunterfahren – und sie für soziale Zwecke wie die Rente umwidmen. Zu lösen sei das einerseits durch ein politisches Commitment, genau das eben nicht zu tun. Und durch Anreize bei der Haushaltsführung.
Moderne Militärtechnik: Beim Sondervermögen für die Bundeswehr soll hingegen darauf geachtet werden, kein „Rheinmetall-Paket“ mit einem Schwerpunkt auf alter Technologie zu produzieren. So sollen etwa keine Panzer gekauft werden, die von günstigen Drohnen zerstört werden können. Vielmehr sollte den Ökonomen zufolge „modernste Militärtechnik“ angeschafft werden, etwa im Bereich Cybersecurity. Insgesamt gelte, dass 100 Milliarden zusätzliche Militärausgaben das Bruttoinlandsprodukt um bis zu 150 Milliarden Euro erhöhen können.