Valdis Dombrovskis ist der Mann, der den Vorschlag seiner Chefin umsetzen muss: Kommissionspräsidentin von der Leyen hat Flexibilität angekündigt, was Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten angeht. „Wir schauen uns an, welche Lösungen es gibt“, sagte er im Interview am Wochenende in München.
Dombrovskis, der EU-Wirtschafts- und Währungskommissar, muss nun aus der Idee, Verteidigungsausgaben von den EU-Schuldengrenzen auszunehmen, Politik machen. „Wir werden in Kürze mit konkreten Vorschlägen aufwarten, wie wir das angehen wollen“, sagte er. Entschieden gehört ja einiges: Soll es eine generelle – für alle EU-Länder gleiche – Ausnahme von den europäischen Defizit- und Schuldenregeln geben oder individuelle? Wie groß soll der Spielraum sein?
„Ich kann zu diesem Zeitpunkt nicht im Detail sagen, wie groß und wie genau, es gibt mehrere Möglichkeiten. Wir bewerten diese Möglichkeiten und arbeiten daran“, sagte Dombrovskis, als EVP-Politiker ein Freund der stabilen Haushaltsführung und als Lette ein Mahner für mehr und deutliche Unterstützung der Ukraine.
Allein aus dieser Spannung ergibt sich: Die Ausnahmen, so sehr sie aus Frankreich mit Dringlichkeit gefordert und vom Bundeskanzler im Nachgang begrüßt wurden, werden vielleicht nicht reichen, um die Unterstützung des angegriffenen Landes sicherzustellen.
„Wir haben sicherlich ein Gefühl der Dringlichkeit. Wir befinden uns seit drei Jahren im Krieg, Russland ist zur Kriegswirtschaft übergegangen“, sagte Dombrovskis. „Es steigert seine Militärproduktion und spricht offen über die Invasion anderer Länder. Wenn sich Russland also in der Ukraine halbwegs erfolgreich fühlt, wird es weitermarschieren. Man sollte das also sehr ernst nehmen und sich ernsthaft darauf vorbereiten.“
„Der Finanzierungsbedarf der Ukraine für dieses Jahr ist gedeckt“, sagte er. „Aber was die militärische Unterstützung anbelangt, so ist es sicherlich notwendig, diese zu verstärken, insbesondere in einem Kontext, in dem wir nicht sicher sein können, wohin die USA mit ihrer Politik in Bezug auf die russische Aggression gegen die Ukraine steuern.“
Das war die Lehre aus den vergangenen Tagen: Die Europäer waren erst nicht eingebunden in die Gespräche zwischen Trump und Wladimir Putin, ringen nun um einen Platz am Tisch, und in München deutete Vance amerikanische Sicherheitspolitik zwar nur am Rande aus, aber überhaupt nicht im Sinn der Europäer.
Ist das für Europa und seine Verteidigungsfähigkeit ein Moment wie die Bankenkrise für die Währungsunion? Ein Moment größter Dringlichkeit, in dem die EU dann in der Lage ist zu handeln? „Ich würde sagen, es ist ein solcher Moment“, sagte Dombrovskis. „Plötzlich brauchen wir eine Antwort, sowohl auf Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf EU-Ebene. Wir arbeiten daran.“
Im März will die die Kommission ein Weißbuch über die Zukunft der europäischen Verteidigung vorstellen. In München sagte Kommissar Andrius Kubilius aus Litauen, der mit der Außenbeauftragten Kaja Kallas die Feder führt, es werde Vorschläge beinhalten, durch gemeinsame Beschaffung die Zahl der Waffensysteme in Europa zu verringern. Das würde Stückzahlen erhöhen und den Stückpreis deutlich senken, wie man es im Geschäftsleben täte.
„Das ist offensichtlich Teil dieser Arbeit, denn unser Verteidigungssystem ist fragmentiert“, sagte Dombrovskis. „Die Verteidigung ist ein relativ neuer Arbeitsbereich für die Europäische Union. Und in der Tat, die Rationalisierung von Waffensystemen, Interoperabilität, militärische Mobilität, das sind alles Dinge, mit denen man einen großen Beitrag leisten kann, aber auch durch die Finanzierung der Verteidigungsindustrie und der Innovation.“
Eine weitere Zutat nannte Dombrovskis: politischen Willen, das Verbot der Verwendung von EU-Mitteln für Verteidigungsausgaben zu beenden. „Wir müssen einfach politische Entscheidungen treffen, damit die Mittel auch für die Verteidigung zur Verfügung stehen, was bisher nicht der Fall war.“
Das heißt: „Wir schauen uns auch an, welche Möglichkeiten es im EU-Haushalt gibt, sowohl im Hinblick auf den nächsten mittelfristigen Finanzrahmen als auch auf den derzeitigen.“ Die nächste siebenjährige Haushaltsperiode beginnt erst 2028. „Aber wir brauchen jetzt eine Antwort und auch die Möglichkeiten, die wir jetzt haben.“
Die Frage der Möglichkeiten ist auch in der Bundespolitik umstritten, wie im Falle der drei Milliarden Euro für die Ukraine, die der Bundeskanzler nur unter Aufhebung der Schuldenbremse zu stemmen können glaubt. Klar sei Deutschland in absoluten Zahlen der größte Unterstützer der Ukraine in der EU. „Das muss man also anerkennen, und es ist wichtig, dass das so bleibt.“
Was die scheidende Bundesregierung aber nie gern gehört hat: „Relativ gesehen gehört Deutschland jedoch nicht zu den Spitzenreitern. Es besteht die Möglichkeit einer Aufstockung, denn relativ gesehen leisten die baltischen Staaten, Polen, die nordischen Länder und das Vereinigte Königreich einen größeren Beitrag“, sagte Dombrovskis. „So gesehen besteht für Deutschland und eine Reihe großer EU-Volkswirtschaften die Möglichkeit, diese Unterstützung auszuweiten, und sie wird auch dringend benötigt.“