Ihre Kreuzchen machen dürfen bei der Bundestagswahl am 23. Februar mindestens 59,2 Millionen Menschen, schätzt das Statistische Bundesamt. Darunter auch rund 2,3 Millionen Erstwählerinnen und Erstwähler und insgesamt 7,9 Millionen Deutsche unter 30 Jahren. Das sind nur etwas mehr als 13 Prozent aller Wahlberechtigten.
Die Sichtweisen und Themen der jüngeren Generationen bleiben im Wahlkampf oft auf der Strecke. Eine Umfrage von SZ Dossier unter vier jungen Kandidierenden zeigt: Es sind ähnliche Themen, die sie und ihre Generation beschäftigen, vor allem bezahlbarer Wohnraum und die Zukunftsaussichten – und dann hat jeder noch ein paar Klassiker aus dem eigenen Wahlprogramm im Angebot.
Der 18-jährige Schüler Luca Saß aus Jena kandidiert für den Thüringer Landesverband des BSW auf Listenplatz 3. „Für mich als jüngsten Bundestagskandidaten zu dieser Wahl stehen ganz klar die Themen Frieden und Soziales im Vordergrund. In meinem Umfeld bewegen diese Themen die meisten jungen Menschen“, sagt er. Er wolle der Angst entgegentreten, womöglich „einen Krieg im eigenen Land zu haben“.
Zeitgleich bedeute der Mangel an Wohnungen generell eine Herausforderung für junge Familien und junge Menschen. „Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass die Lebensqualität auch in ländlichen Gebieten wieder erhöht wird durch gezielte Investitionen in bessere Anbindungen mittels ÖPNV und Infrastruktur“, sagt Saß. Das Thema Bildung sei ebenfalls eine zentrale Frage, die viele junge Menschen beschäftige. „Jeder muss die gleichen Bildungschancen haben, egal aus welchem Elternhaus man stammt“, so Saß.
Die Stimmung sei aktuell eher durchwachsen: „Vielen jungen Menschen fehlen generell die Stimmen anderer junger Menschen in der Politik auf Bundesebene“, sagt er. Vielen fehle zudem der gesellschaftliche Zusammenhalt – der gemeinsame Wille, Fortschritt zu erreichen. „Extremismus, egal ob links oder rechts, sorgt bei vielen jungen und älteren Menschen für Angst.“
Johannes Winkel, 33 Jahre alt, ist der Vorsitzende der Jungen Union, Volljurist und gleichzeitig CDU-Bundestagskandidat im Düsseldorfer Süden. „Viele junge Menschen blicken heute mit Sorge in die Zukunft, weil sie befürchten, den Lebensstandard ihrer Eltern nicht halten oder erreichen zu können“, sagt Winkel. Finanzielle Stabilität, sichere Jobs und bezahlbarer Wohnraum seien oftmals Themen junger Leute.
„Ich habe nicht das Gefühl, dass die Stimmen der Jungwähler ausreichend gehört werden. Wir leben in einer Republik der Alten“, so Winkel. Die Politik kümmere sich aus „kurzfristigem Gewinnstreben“ um die Stimmen der größten Wählergruppe, also der Ü60-Jährigen. Gleichzeitig sieht Winkel die Folgen einer „gescheiterten Migrationspolitik“ und den „zunehmenden Einfluss des Islamismus, der das gesellschaftliche Miteinander belastet und Unsicherheit schafft“.
Die 29-jährige IT-Beraterin Rebecca Lenhard kandidiert für die Grünen in Nürnberg. „Junge Menschen verdienen echte Mitbestimmung und faire Chancen. Deshalb setze ich mich für Wahlalter 16 und starke Jugendparlamente ein. Wer die Zukunft gestaltet, muss mitentscheiden können“, sagt sie. Zudem dürfe Bildung nicht vom Geldbeutel abhängen, weshalb sie mit einem „Zukunftsinvestitionsprogramm“ die Schulen modernisieren will. Sonst: 15 Euro Mindestlohn, bezahlbarer Wohnraum und Wohnheime sowie ein günstiges Deutschlandticket.
Ihr sei auch ein „Klimaschutz mit Zukunftsperspektive“ wichtig. „Mehr erneuerbare Energien, klimafreundliche Städte und eine Verkehrswende, die niemanden abhängt“, so Lenhard. „Jung- und Erstwählende sind politisch wacher, als oft behauptet wird. In Gesprächen höre ich immer wieder, dass sie sich stark für ihre Zukunft, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Bildungschancen interessieren“, sagt sie. Viele würden sich Sorgen machen um die Finanzierung von Studium oder Ausbildung, bezahlbaren Wohnraum – und eben sichere Zukunftsperspektiven.
Lenhard glaubt, dass politische Entscheidungen oft kurzfristig getroffen werden, ohne ihre langfristigen Auswirkungen auf junge Generationen ausreichend mitzudenken. „Um das zu ändern, müssen wir junge Menschen stärker repräsentieren und aktiv in Entscheidungen einbinden.“
Matti Karstedt, Jahrgang 1996, ist Generalsekretär der FDP Brandenburg und kandidiert dort auf Listenplatz 2. „Junge Leute werden in der Politik oft übersehen – vor allem, wenn sie nicht in Berlin, München oder Hamburg wohnen“, sagt er. Die meisten Jugendlichen, sagt er, träumen nicht von weniger, sondern von mehr: „Mehr Freiheit, mehr Chancen, mehr Wohlstand“, so Karstedt.
Wie er ausführt, hörten sie die Sängerin Nina Chuba mit Liedzeilen wie „Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel“. Diejenigen, die er treffe, würden auch gerne etwas bewegen. „Aber sie haben keine Lust mehr auf Politik, die sich nur um sich selbst dreht“, sagt er. Der Staat blockiere sie mit Bürokratie, nehme ihnen die Hälfte vom Gehalt und liefere nicht, was er verspreche. „Sie sind genervt – aber nicht, weil sie politikverdrossen sind, sondern weil sie phrasenverdrossen sind“, sagt er.
Der nächste Bundestag müsse ran: vom Bildungsföderalismus bis zur Rente. „Die Umlagefinanzierung hält dem demografischen Wandel nicht stand – und jeder weiß es. Trotzdem ändert sich nichts, weil sich mit Rentenerhöhungen großartig wahlkämpfen lässt“, so Karstedt. Stattdessen fordert er eine kapitalgedeckte Rente: „Wir dürfen die Enkel nicht mehr gegen die Großeltern ausspielen.“ Gabriel Rinaldi, Moritz Jägemann