CDU und CSU sind also ausgebrochen, so sehen sie es ja: SPD und Grüne haben seit dieser Woche nicht mehr die Deutungshoheit darüber, wie weit die Union ausgreifen darf auf der Suche nach Mehrheiten.
Was die Union als erstes erfuhr: Ganz schön kalt da draußen. Fünf Erkenntnisse, die wir aus der Woche mitnehmen.
Wozu Politik? Debatte und Abstimmungsergebnis machten neben der Selbstgewissheit des Kanzlers, wonach immer noch er bestimme, was rechtswidrig sei und was nicht, auch eines deutlich: Grüne und SPD sehen das Problem – zuletzt konkret: die Bluttat von Aschaffenburg – als in der Verantwortung der Verwaltung liegend an. Solange die heutige Rechtslage in Behörden korrekt vollzogen wird, ist demnach keine Änderung der Politik nötig, bloß eine Abwandlung der Betroffenheitsbekundungen. Eine Lücke, die Merz zu füllen plante.
So tickt die Merz-Partei: Die Debatte über Maßnahmen, die aus Aschaffenburg folgen müssten, war aber mit dem Moment schon wieder zu Ende, da Merz die für die anderen Parteien bequeme Haltungsdebatte zulassen musste. Er nahm sie in Kauf, der erste Schritt war da ja längst getan. Er hatte die Wahl, bei konservativen und rechten Wählern entweder wieder als Ankündigungskandidat zu gelten oder „zur Not“ mit der AfD zu stimmen: Die Merz-Partei sieht mehr Potenzial rechts als links. Eine Umsetzung ist trotzdem fraglich, ein blinder Fleck in der Taktik.
Berlin und das Land: Die neuesten Umfragen enttäuschten die Erwartungen der dramatis personae – aller; sowohl die der Union auf einen deutlichen Sprung nach oben als auch die von SPD und Grünen, wonach ihr aufrechter Kampf gegen Merz und „gegen rechts“ demoskopisch unmittelbare Unterstützung erfahren werde. Das ZDF-Politbarometer von gestern legt nahe, dass dem nicht so ist: Da ist erkennbar, dass eine Mehrheit eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt. Es ist nicht erkennbar, dass eine Mehrheit der Definition folgen würde, der Mittwoch sei schon eine „Zusammenarbeit“ zwischen CDU und AfD.
Deutscher Sonderweg: Ein Blick in andere Parlamente – etwa das Europäische – mag die Unionsführung bestärkt haben, „all in“ zu gehen. Manfred Weber, Chef der größten Fraktion, der EVP, hat zu Beginn der Legislatur ein paarmal rechts geblinkt, um das Mitte-Links-Lager zu Kompromissen zu zwingen. In einigen Fragen, die für Sozialdemokraten, Grüne und einen Teil der Liberalen gar nicht verhandelbar sind, suchte und fand er auch Mehrheiten rechts der EVP. Brüssel steht noch; in einer Koalitionslogik sind wechselnde Mehrheiten aber kaum denkbar, und sie mit der AfD und anderen Russland-Freunden zu suchen, haben die Christdemokraten auch für Europa ausgeschlossen. (CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt würde es nie zugeben, hätte er sich ausgerechnet bei diesem Parteifreund etwas abgeschaut.)
Die Merkel-CDU: Wer Zweifel hatte, wie stark der Merkel-Flügel in der Fraktion noch ist, bekam die Antwort schon am Mittwoch. Die Frage ist, wie groß der Einfluss der Bundeskanzlerin a.D. im Land ist. Drei Wochen vor der Wahl dem Spitzenkandidaten der eigenen Partei so in die Parade zu fahren, ist auch ein Test der eigenen Autorität bei Wählerinnen und Wählern. Insbesondere bei Merkels peer group: Frauen über 60 waren bei der Wahl 2021 eine Gruppe, bei der die Union überdurchschnittlich gut abgeschnitten hat.
Groß und einsam: Klar, dass der Move der Union Verletzungen hervorruft wie etwa beim Bundeskanzler, der Merz jetzt nicht mehr sehr vertrauen kann. Den Grünen war die Botschaft einmal deutlich, dass Merz sie nicht als liebsten Partner sieht. Mit der FDP reicht es nach aller Voraussicht nicht für eine Regierungsmehrheit. Und so könnte der Moment kommen, an dem Friedrich Merz nach dem Wahltag schon wieder eine Entscheidung treffen muss zwischen Konsequenz und Machtoption: Aus den Armen der politischen Linken hat er sich befreit. Gerade um die größte Kraft kann es aber ganz schön einsam sein.