Der letzte Neuling, der sich im Parteiensystem der Bundesrepublik etablieren konnte, war die AfD. Zuvor schüttelte die Linke das Parteiensystem durch. Doch seit sich prominente Teile von ihr abgespalten haben, ringt die Linke um Bedeutung. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) beabsichtigt, sich als Alternative zu empfehlen.
Die Kommunalwahl in Thüringen am vergangenen Sonntag war die erste Wahl, zu der die Partei antrat, in einer Woche folgt bei der Europawahl der erste deutschlandweite Stimmungstest – und im September will das BSW nach den Landtagswahlen im Osten sogar nach Regierungsämtern greifen. Wagenknechts Wagnis: Kann es wirklich so schnell gehen?
Die Namensgeberin ist der Fixstern ihrer Partei. Doch zuletzt ist es dem BSW gelungen, neben Wagenknecht weitere prominente Köpfe zu rekrutieren, den Fußballfunktionär Oliver Ruhnert etwa oder Steffen Quasebarth, den langjährigen Moderator des Thüringen Journals. Quasebarth kommt vom MDR, also vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Den bedachte seine neue Chefin prompt mit scharfer Kritik. Der Augsburger Allgemeinen sagte Wagenknecht, es gebe zu „viel Meinungs-Einheitsbrei im ÖRR“. Es sind Aussagen wie diese, die ihr immer wieder den Populismus-Vorwurf einbringen.
Jan Philipp Thomeczek ist Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam und beschäftigt sich intensiv mit dem BSW, am Dienstag erst hat er eine Analyse veröffentlicht, in der er unter anderem Wagenknechts Kommunikation und die Rhetorik im Parteiprogramm untersucht hat.
Ergebnis: „Die Klassifizierung als populistische Partei“ scheint gerechtfertigt, schreibt er. Das sei erst einmal eine wertfreie Beobachtung, sagte Thomeczek SZ Dossier. Und wie man sehen könne, sei Populismus ja auch eine „sehr erfolgreiche Strategie“. Wenn es nämlich um die Ansprache von Wählerinnen und Wählern gehe, könne populistische Rhetorik fehlende inhaltliche Nähe wettmachen, sagte Thomeczek.
Konkret bedeutet das: „Wenn Wähler merken, dass eine Partei genauso populistisch ist wie sie selbst, können sie sich auch dann von ihr angesprochen fühlen, wenn sie beispielsweise in der Sozialpolitik ganz andere Einstellungen als die Partei haben.“ Populistische Rhetorik kann also inhaltliche Differenzen kaschieren – und Menschen anlocken, die eigentlich mit den Positionen von BSW fremdeln.
In einer bislang noch unveröffentlichten Untersuchung zeigt der Politologe auch, woher die Wähler des BSW kommen könnten: Einerseits gebe es ein großes Potenzial bei Menschen, die bislang für kleine Parteien gestimmt hätten oder gar nicht wählen gingen. Unter etablierten Parteien sei das Potenzial des BSW bei AfD-Wählern zwar überdurchschnittlich hoch, noch größer sei es aber unter Wählern der Linken und der SPD.
Und ganz besonders gute Chancen hat Wagenknechts Partei im Osten, insbesondere dort könne die Partei ihre drei Erfolgsfaktoren ausspielen: „Personalisierung, Programm und Populismus“, sagte Thomeczek. Übersetzt bedeutet das: Wagenknecht als Zugpferd, die Verbindung von gesellschaftspolitisch konservativen mit ökonomisch linken Positionen und dazu eine populistische Rhetorik. Schaut man sich Google-Suchanfragen an, kann man schon jetzt die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland erkennen: Im Osten googeln die Menschen BSW deutlich öfter als im Westen.
Doch bis zu den Wahlen im September muss die Partei noch die nötigen Strukturen aufbauen, bundesweit komme sie derzeit auf etwa 600 Mitglieder, sagte Generalsekretär Christian Leye SZ Dossier. Das hängt auch mit dem Rekrutierungsprozess zusammen: Bevor jemand in die Partei eintrete, wolle man die Person erst einmal kennenlernen, sagte Leye, das sei für beide Seiten von Vorteil.
In Thüringen, wo im September ein neuer Landtag gewählt wird, trifft sich das BSW morgen, um sich aufzustellen. Als Spitzenkandidatin soll Katja Wolf, die derzeitige Oberbürgermeisterin von Eisenach, die Partei anführen. Programmatisch setzt das BSW in Thüringen auf mehr direkte Demokratie, will etwa, dass Bürger bereits vom Landtag beschlossene Gesetze per Referendum „aufhalten oder korrigieren können“, wie der Spiegel berichtet. Umfragen sehen die Partei derzeit bei 16 Prozent, sie könnte es also aus dem Stand in den Landtag, vielleicht sogar in eine Koalition schaffen. Dann winken Büros, Fahrer, Mitarbeiter.
Momentan sieht die Arbeit aber anders aus: Drucker müssten organisiert werden, es stelle sich die Frage, wie ein Wahlzettel überhaupt aussehen muss, sagte Spitzenkandidatin Wolf am Telefon. Gleich Regierungsverantwortung zu übernehmen, sei eigentlich nicht ihr „großes und einziges Ziel“, sagte Wolf. Aber die politische Lage in Thüringen könnte es nun mal erfordern.
Dazu kommt es wohl auf die CDU an, die schließt Koalitionen mit der Linken und der AfD per Parteitagsbeschluss aus, für das BSW gibt es so eine Festlegung jedoch nicht: Landeschef Mario Voigt sagte am Mittwoch, man werde sich beim BSW „Liste und Programm genau anschauen“, beispielsweise bei der Bildungs- oder Migrationspolitik seien die Vorschläge aber deutlich pragmatischer als bei den Thüringer Linken oder Grünen.