Ende April 2023 saßen sie noch in der Talkshow von Maybrit Illner: Kevin Kühnert, damals SPD-Generalsekretär und Carla Rochel, damals Sprecherin der „Letzen Generation“. Es ging um Protest, den Frust der Bürger und die Frage: „Scheitert die Ampel am Klimaschutz?“ Es war eine Szene, wie es sie so wohl nicht mehr geben wird: Die Ampel ist Geschichte, die „Letze Generation“ will nicht mehr so heißen und auch keine Autos und Flughäfen mehr blockieren.
Der Hauptgrund aber ist: Die beiden Diskutanten, Kühnert und Rochel, haben sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Doch während Kühnerts Abgang einschlug wie eine Bombe, verabschiedete sich Rochel leiser, fast unbemerkt.
Die 22-Jährige galt als eines der bekanntesten Gesichter der Letzten Generation. Dutzende Male hat sie sich auf die Straße geklebt, stand vor Gericht, hockte in einer Polizeizelle – und bei Markus Lanz auf dem Studiosessel. Zuletzt kümmerte sie sich bei der Letzen Generation um Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Im Januar dieses Jahres dann gab sie nach und nach ihre Aufgaben und ihre Rolle ab. Sie konnte nicht mehr, war erschöpft, ausgelaugt vom Aktivismus.
Es war keine spontane Entscheidung, vielmehr das Ergebnis eines schleichenden Prozesses. Sie habe das Gefühl gehabt, ihr Arbeit führe nirgendwohin, sagt Rochel im Gespräch mit SZ Dossier. Ideen und kreative Gedanken seien ausgeblieben, sie habe nicht mehr schlafen können, keinen Appetit mehr gehabt, immer weniger gegessen. „Es hat sich sehr leer angefühlt“, sagt Rochel über die Zeit, in der sie ihre Entscheidung traf. Sie habe keine Lust mehr gehabt, Freunde zu treffen, sei schnell überfordert von Gruppen gewesen, habe immer öfter Panikattacken bekommen. Über Weihnachten 2023 fiel der Entschluss: „Ich pack das nicht mehr.“
Sie zog sich zurück. Raus aus dem Aktivismus, raus aus der Öffentlichkeit. Im Herbst hat sie angefangen, in Leipzig Kommunikationsmanagement zu studieren, bis vor kurzem arbeitete sie im Nebenjob bei einer Sicherheitsfirma, stand am Eingang von Clubs und im Spielertunnel von Fußballstadien.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, erscheint auf den ersten Blick paradox. Anders als in Teilen der Politik, wo psychische Belastungen lieber verschwiegen werden, gehen die Aktivistinnen und Aktivisten offen mit dem Thema um, haben dafür sogar eigene Strukturen geschaffen. Rochel erzählt von Unterstützern, die bei Protestgruppen dabei sind, dort Entspannungsübungen anbieten und anleiten. „Es gibt ein psychologisches Team, in dem wirklich viele Leute drin sind“, sagt sie. „Wenn man dorthin eine Nachricht schreibt, bekommt man noch am gleichen Tag eine Antwort. Und wenn man dringend ein Telefonat braucht, kann man die Leute anrufen.“ Das Bewusstsein ist also da, die Angebote auch. „Und trotzdem fällt es vielen Leuten schwer, das in Anspruch zu nehmen“, sagt Rochel. „Mir auch.“
Auf den zweiten Blick erscheint die Entwicklung indes weniger paradox. Die Aktivistinnen und Aktivisten treibt an, was so viele in dieser Gesellschaft antreibt: der Leistungsgedanke. Nur bemisst er sich bei ihnen nicht am Einkommen, nicht am Vermögen und nicht an der nächsten Beförderung. Das Gefühl, das sich bei ihnen am Ende einstellt, ist aber das gleiche: Selbstwert.
Früher sei sie wie im Rausch gewesen, wenn es gut lief, wenn viel los war, viele Presseanfragen reinkamen, wenn Unis sich meldeten und zu Diskussionen einluden. Ein „irres Gefühl“, sei das gewesen, sagt Rochel. „Und natürlich definiert man sich auch darüber, dass man politisch aktiv ist, auf Proteste fährt und auf der Straße war.“ Und dafür wohl auch bis über das eigene Limit hinausgeht.
Dabei ist ihr ganzes Streben, ihr ganzer Aktivismus ja auf das Gegenteil ausgelegt: darauf eigene – und mehr noch die planetaren Grenzen nicht Stück für Stück zu verschieben, sondern sie einzuhalten, sich auch selbst zu beschränken. „Als linke Umweltbewegung versuchen wir ja immer, dem Leistungsnarrativ etwas entgegenzusetzen. Und trotzdem rennt man dem hinterher“, sagt Rochel. „Saudumm.“
Heute plagten sie Schuldgefühle, der Gedanke daran, andere im Stich zu lassen, sich nur noch um sich selbst zu kümmern und nicht mehr für „etwas Größeres“ zu kämpfen, sagt sie. Ganz herausziehen aus der politischen Arbeit wolle sie sich aber nicht: Immer mal wieder habe sie in letzter Zeit angefangen, an Projekten mitzuarbeiten – zu sozialer Wärmewende, in Bündnissen gegen Rechts. „Aber ich merke dabei, wie schnell ich an meine Grenzen komme“, sagt sie. Irgendwann sollen diese Dinge wieder einen größeren Teil in ihrem Leben einnehmen, das hat sie sich vorgenommen. „Schauen wir mal, was daraus wird.“ Tim Frehler