Der deutschen Wirtschaft gehe es „hundsmiserabel“, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki SZ Dossier, daher mache „ein Austausch mit Wirtschaftsvertretern immer Sinn“. Er griff Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) scharf an und verteidigte die Einladung seiner Fraktion an Wirtschaftsverbände, die nicht zum Scholz’schen Industriegipfel geladen sind: „Es ist gut, dass die FDP diese Gespräche führt. Wir dürfen das keinesfalls Dilettanten überlassen“, sagte er. Davor hatte sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in ähnlich scharfer Rhetorik geübt, der Finanzminister solle „nicht versuchen, mit einer eigenen Veranstaltung die Arbeit des Kanzlers zu torpedieren“, sagte er der Rhein-Neckar-Zeitung. Ein führender Grünen-Politiker wollte die konkurrierenden Veranstaltungen nicht kommentieren, „weil zu albern“.
Es gibt sie noch, die leiseren Töne. Matthias Miersch, seit einigen Wochen Generalsekretär der SPD, rief die Koalitionäre auf, sich zusammenzureißen. Jetzt gelte es, dass alle konzentriert und unaufgeregt an Lösungen arbeiten. Unterschiedliche Ansätze könnten Durchbrüche bringen – „vorausgesetzt, es besteht echte Bereitschaft zum Kompromiss“, sagte Miersch SZ Dossier. Es sei „gut“, dass der Kanzler „die Sicherung des Wirtschaftsstandorts und der Arbeitsplätze in Deutschland zur Chefsache“ mache und mit „wichtigen Playern“ einen „vertrauensbildenden Prozess“ startete. Die Koalition habe in der Vergangenheit bereits bewiesen, dass sie schnell und entschlossen handeln könne, als Beispiele nannte Miersch die Energiepreisbremsen und den beschleunigten Bau von LNG-Terminals nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Das war im Jahr 2022: Inzwischen will kaum noch jemand darauf wetten, dass die Koalition den von der FDP ausgerufenen „Herbst der Entscheidungen“ übersteht. Sogar aus der SPD hieß es, dass es mit der weiteren Zusammenarbeit eng werde, berichten Georg Ismar und Claus Hulverscheidt. Die Arbeiten am Haushalt drohen zum letzten Streit der Ampel zu werden, seit der Steuerschätzung der vergangenen Woche ist klar, dass ein laut Lindner hoher einstelliger Milliardenbetrag eingespart werden müsse. Trotzdem: „Vor unlösbare Aufgaben“ würden die Haushaltsverhandlungen nicht gestellt, teilte SPD-Politiker Achim Post mit, schließlich erlaube die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse eine „höhere Kreditaufnahme“.
Die Entscheidung ist politisch. Wie groß die Lust am Kompromiss gerade ist, ließ sich in der vergangenen Woche beobachten, als es um die Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes ging. Scholz hat das versprochen („kommt weg“), Habeck hat ebenfalls deutlich gemacht, dass er das zur Entlastung der Wirtschaft richtig fände. Doch Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge widersprach sofort. Das Ende des deutschen Lieferkettengesetzes sei ein „großer Fehler“. Das ärgerte: besonders die Liberalen.