Die Hauptbotschaft des Kanzlers am ersten Tag des Digitalgipfels: Das Geld für Innovationen ist in Europa und Deutschland da, es muss nur verfügbar gemacht werden. Dass so viele Forschende, die in den USA große Sprachmodelle entwickelten, von deutschen Unis kämen, veranschauliche das hiesige Potenzial, sagte Olaf Scholz (SPD) gestern in Frankfurt am Main.
Gleichzeitig zeige es, wie weit Europa bei der Finanzierung von Unternehmen über Eigenkapitalmärkte hinterherhinke. „Das ist seit zwanzig Jahren das größte Wachstumshindernis, das wir in Europa haben.“ Das zu ändern, werde die „entscheidende Aufgabe“. In Frankfurt kam gestern das halbe Kabinett, um gemeinsam mit 1500 Gästen über Digitalisierung zu sprechen.
Schon lange sei die Relevanz neuer Technologien bekannt, sagte Scholz. „Die Realität ist aber, dass zu lange zu wenig passiert ist.“ Sowohl auf staatlicher als auch auf unternehmerischer Seite sei es zu lange beim Man müsste mal geblieben. Aus dem „Jahrzehnt des Stillstands“ solle nun ein „Jahrzehnt der Modernisierung“ folgen: Deutschland solle bei KI, Quantencomputing und Virtual Reality, aber auch bei Sicherheitstechnologien vorn mitspielen, sagte Scholz.
Es sei zwar zu begrüßen, wenn Microsoft, Amazon und Google in hiesige Rechenzentren investieren. „Aber wir brauchen auch eigene Infrastrukturen“, sagte Bitkom-Chef Ralf Wintergerst. „Wir sind eine digitale Kolonie, wir sind abhängig.“ Es brauche Kompetenzen vor Ort, um erfolgreich zu sein. Digitale Souveränität bedeute auch, „dass man Kraft hat, dass man selbst innovieren kann, dass man selbst bestimmen kann“. Diese Autonomie gebe es heute nicht mehr.
Die Bundesregierung will zudem einen Paradigmenwechsel im Bereich Daten einleiten, wie der Kanzler und verschiedene Minister gestern betonten. Früher habe man über Datensparsamkeit gesprochen, heute gehe es aber um Datenzugänglichkeit. Das Verhältnis von Datenschutz und -nutzung werde man neu justieren müssen. Der Kanzler nannte als Beispiele das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, das Mobilitätsdatengesetz und das Forschungsdatengesetz. Das helfe der Wirtschaft, vor allem auch bei KI – „ganz ohne staatliche Förderung“.
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach gestern auf der Bühne, gemeinsam mit dem Digitalminister Volker Wissing (FDP). Natürlich habe Deutschland viele Innovationen hervorgebracht, es seien viele Start-ups gegründet worden. „Aber im digitalen Bereich sind wir immer im Mittelfeld, in der zweiten Liga stehen geblieben“, sagte Habeck.
„Wir haben kein Alibaba, kein Google, kein Apple aus Europa nach vorne gebracht.“ Bei KI sehe er zwar großes Potenzial, aber China und die USA hätten nun mal einen Vorsprung. „Europa sollte sich abgewöhnen, zu glauben, es sei der Nabel der Welt“, sagte Habeck. Das sei in keinem Bereich mehr so. Trotzdem, sagte Wissing, sei der Zug noch nicht abgefahren. Sowohl in Deutschland als auch in Europa entstünden vielversprechende Projekte, gerade im Bereich KI.
Die Frage, ob es ein eigenes Digitalministerium bräuchte, wurde ebenfalls diskutiert. Friedrich Merz (CDU) und die Union sprechen sich dafür aus, in der FDP könnten sich das einige vorstellen. Habeck hielt ein solches Haus für schwierig, zu unterschiedlich seien die Aufgaben der Ministerien in der Digitalisierung. Er verstehe Digitalisierung eher als Querschnittthema. Wissing sagte, er sei ja bereits Digitalminister (Verkehrsminister ist er nebenbei) und sei in der Legislaturperiode bislang gut vorangekommen. Ausschließen wollte er ein „richtiges“ Digitalministerium aber nicht.
Um Desinformation ging es auch. Der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Johann Saathoff, sagte in Frankfurt, der Digital Services Act (DSA) sei eines der effektivsten Werkzeuge gegen Desinformation. Einig war man sich auf dem Panel aber auch darüber, dass es zwar gefährliche neue Techniken gibt, Desinformation allerdings oft mit einfachen Mitteln erfolgreich ist.
Vor allem mit Aussagen, die aus dem Kontext gerissen sind. Die Menschen würden schnell das glauben, was sie auch glauben möchten – man denke hier nur an Donald Trump und die Katzen und Hunde von Springfield. Es brauche deshalb mehr Debunking, also das nachträgliche Entlarven der falschen Informationen. Matthias Punz, Gabriel Rinaldi, Selina Bettendorf
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