Baden-Württemberg gilt innerhalb der AfD als einer der kompliziertesten Landesverbände. Parteitage im Südwesten versinken schon mal im Chaos, weil die Lager so zerstritten sind. Lange galt der Landesverband auch als Schwachstelle der Parteichefin. Doch Alice Weidel hat ihn umgekrempelt. In Ulm wählten sie die Mitglieder mit mehr als 87 Prozent der Stimmen auf Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl. Und das in einem Prozedere, das erstaunlich reibungslos ablief.
Weitere, im Vorfeld geplante, Wochenenden zur Wahl der Liste sind nicht mehr nötig. Das alles sagt viel aus – über eine Partei, die sich verändert und den Einfluss, den die Chefin dabei hat. Schließlich haben sie und ihre beiden Vertrauten, die Landeschefs Markus Frohnmaier und Emil Sänze, den Landesverband innerhalb weniger Monate auf Linie gebracht: Auf dem Parteitag in Rottweil Anfang Februar beförderten sie zunächst unliebsame Gegner aus dem Landesvorstand. Danach kam der nächste Schritt.
Wer Freund ist und wer nicht: Weidel und Frohnmaier gelang es in Ulm, ihre Kandidaten auf den aussichtsreichsten Plätzen für die Bundestagswahl zu platzieren. Der Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel, Weidels ärgster Widersacher, verlor seine Abstimmung um Listenplatz fünf gegen den stellvertretenden Landesvorsitzenden, Ruben Rupp. Im Foyer der Donauhalle sprach Spaniel von einer „Inszenierung“. Wären die Bedingungen „nicht gestaged“ gewesen, wie er sagte, wäre die Abstimmung seiner Ansicht nach anders ausgegangen.
Noch am Abend gab Spaniel bekannt, die AfD verlassen zu wollen, wie er t-online sagte. Mit der Bundestagsabgeordneten Christina Baum verlor zudem eine weitere Weidel-Kontrahentin ihre Abstimmung. Sie unterlag deutlich gegen die 26-jährige Diana Zimmer aus Pforzheim, die Weidel persönlich für Listenplatz acht vorgeschlagen hatte. Die Parteichefin sichert sich in Ulm also nicht nur ihre Machtbasis im Südwesten, sondern erhöht auch die Zahl ihrer Unterstützer in der nächsten Bundestagsfraktion.
Das Prinzip Top-down hält Einzug in der AfD: Die AfD gibt sich gerne als Gegenentwurf zu den von ihr so geschmähten „Altparteien“. Ein Element dabei: die Basisdemokratie. So konnte in Ulm jedes der etwa 6200 Mitglieder des Landesverbands an der Wahlversammlung teilnehmen – und sich für einen der Listenplätze bewerben. Gleichzeitig zeigte sich in der Donauhalle jedoch: Die Basisdemokratie muss zunehmend der Steuerung von oben weichen.
Auch wenn Markus Frohnmaier in einem Statement sagte, es gebe vom Landesverband „keinerlei Wahlempfehlungen“, machte im Vorfeld eine E-Mail des Rhein-Neckar-Kreises die Runde. Darin wird dafür geworben, den Kreissprecher Achim Köhler und weitere Kandidaten aus den Nachbarkreisen zu unterstützen – und zwar mit dem Zusatz, die Kandidaten „haben umfassende Unterstützung von mehr als 24 befreundeten Kreisverbänden sowie vom Landesvorstand erhalten“. Besonders hervorzuheben sei, dass auch Alice Weidel und Markus Frohnmaier dies bekräftigten, wie es in der Mail heißt. Frohnmaier schlug Köhler am Samstag dann auch für Listenplatz neun vor.
Weiter professionalisieren: Mit jedem Schritt der Professionalisierung gleicht sich die AfD allerdings den anderen Parteien an. Ob das nicht ein Risiko ist? Kay Gottschalk, Mitglied des Bundesvorstandes und als Beobachter in Ulm, glaubt das nicht. Der Ruf nach Basisdemokratie sei ohnehin zum Feigenblatt für einige geworden, „um Krawall zu machen“. Auf dem Bundesparteitag im kommenden Jahr soll auch bereits der nächste Schritt folgen: Parteichefin Weidel will erneut eine Satzungsänderung beantragen, die es ermöglichen soll, dass Parteitage in Landesverbänden mit mehr als 5000 Mitgliedern als Delegierten- und nicht als Mitgliederparteitage veranstaltet werden.
Weidel hatte solch einen Antrag bereits auf dem Bundesparteitag in Essen eingebracht, aber nicht die notwendigen Stimmen erhalten. Manche in Essen hätten diesen Antrag gar nicht verstanden, sagte Weidel nun am Samstag, die Entscheidung über Mitglieder- oder Delegiertenparteitage solle von den jeweiligen Landesvorständen selbst getroffen werden. Sie werde es aber definitiv im kommenden Jahr noch einmal mit einem solchen Antrag probieren. Und sie sei „zuversichtlich, dass das funktionieren wird“.
Wahlkampfausblick: Während Weidel ihre verbalen Angriffe am Samstag in Richtung Ampel richtete, griff Markus Frohnmaier neben den Grünen und der Bundesregierung auch die Union an. Weidels Sprecher, Daniel Tapp, sagte zwar, die Aufteilung sei nicht abgesprochen gewesen. Aber bei den Themen Migration, bei der Energiepolitik, insbesondere beim Atomausstieg, werde man im kommenden Wahlkampf betonen, dass auch die Union für die – aus AfD-Sicht – Probleme in diesen Bereichen verantwortlich sei.
Hintergrund: Die Befürchtung, die Union könnte im Fahrwasser der AfD fischen. Die Union zu scharf anzugreifen, sei aber ambivalent, sagte Kay Gottschalk. Hauptgegner der AfD seien schließlich immer die Grünen gewesen, außerdem werde die AfD ja „über kurz oder lang einen Partner benötigen“. Und der einzige Partner, der der Parteibasis vermittelbar sei, sei die Union. Dass die Union dafür aber bereit ist, danach sieht es im Moment nicht aus. Über kurz- oder lang wird die AfD, trotz all der Professionalisierung, also beantworten müssen, wie sie koalitionsfähig werden will. Tim Frehler