War da was? Hörte man CDU-Chef Friedrich Merz gestern bei der Generaldebatte zu, hätte man kaum auf den Gedanken kommen können, dass der gleiche Mann am Abend zuvor die Ampel als führungslos bezeichnet und ihr vorgeworfen hatte, sie kapituliere vor der irregulären Migration. Stattdessen: Er wolle einmal klarstellen, dass Deutschland „ein offenes und ausländerfreundliches Land“ bleibe.
Ohne Menschen mit Migrationshintergrund „könnten Krankenhäuser, Altenpflegeheime, viele weitere soziale Einrichtungen, aber auch Schulen, Gastronomiebetriebe und zahlreiche Unternehmen in Deutschland keinen Tag erfolgreich arbeiten“, sagte er. Man brauche diese Menschen. „Klar und unmissverständlich“ stehe die CDU-Fraktion gegen „jede Form von Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit“, „klar und unmissverständlich“, sagte er noch einmal.
Bierzeltatmosphäre à la Dobrindt: Statt Merz redete Dobrindt als erster. Er, der sich als Generalsekretär der CSU gern als „Klartextgeneral“ bezeichnete, war in der neuen Rollenaufteilung der Union für den Angriff auf den Kanzler zuständig. Der gescheiterte Migrationsgipfel zwischen Union, Regierung und Vertretern der Länder sei ein „weiterer Tiefpunkt“ in der Regierungszeit des Kanzlers, „niemand, schlichtweg niemand“ wünsche sich die Fortsetzung der Koalition, sie habe „null Prozent Wachstum, null Prozent Zustimmung“, kurzum: Den Wumms verloren.
Ist das ein Kurswechsel? Bislang hatten insbesondere SPD und Grüne gefürchtet, Merz wolle Migration und Asyl zu einem der dominierenden Themen des Wahlkampfs machen. Gestern wirkte es nicht, als habe der Fraktions- und Parteichef daran größeres Interesse. Er bitte „um Nachsicht“, dass die Union nicht mit der Ampel in lange Gespräche gehe. Als Merz scharf wurde, ging es um Wirtschaft, seit zehn Jahren (also inklusive Unionsregierungszeit) gebe es keine Produktionssteigerung in Deutschland. Dass der Kanzler VW in seiner Rede nicht einmal erwähnt habe, sei Teil des Problems. „Das zeigt doch, in welcher Welt Sie leben! Sie sind nicht mehr in diesem Lande unterwegs!“, rief Merz, es sei eine „beständige Intervention in den Markt“, die Regierung bewege sich mehr und mehr Richtung Planwirtschaft.
Die SPD dürfte das freuen, wenn es denn so bliebe: Sie möchte im Wahlkampf am liebsten so wenig wie möglich über Migration sprechen, stattdessen über klassische sozialdemokratische Themen: Pflege, Rente, soziale Gerechtigkeit. Ein Migrationswahlkampf, darin sind sich die demokratischen Parteien einig, würde vor allem der AfD nutzen. Scholz sagte während der Generaldebatte, es brauche den Glauben an eine bessere Zukunft. Den habe die AfD nicht. Das Angebot an die Union, weiter über Migration zu sprechen, bleibe bestehen. Lesen Sie hier eine Reportage der SZ-Kollegen über die Haushaltswoche.