Peter Kaim steht in einer großen Scheune auf dem Havellandhof Ribbeck in Brandenburg, es gibt Franzbrötchen und Kaffee. Direkt daneben drängen sich drei Kälbchen im Auslauf und schauen, als wären sie interessiert, zu den SPD-Politikern und ihren Mitarbeitern hinüber, die sich in der Scheune versammelt haben.
„Als Demokraten“ müssten sie zusammenhalten, sagt Kaim, „und Strategien entwickeln“. Ihm hören ungefähr 15 SPD-Abgeordnete und zehn Fraktionsmitarbeiter zu. „Wir bemühen uns“, sagt Fraktionsvize Matthias Miersch. Es klingt nicht überzeugt.
Die SPD hat sich in der vergangenen Woche zur Fraktionsklausur getroffen. Sie hat sechs Beschlüsse verabschiedet, unter anderem zu Sicherheit, ländlichen Räumen, Wettbewerb im Onlinehandel. Ein Plan dafür, Populisten und Rechtsextreme zurückzudrängen, oder die SPD aus dem Umfragetief zu holen, bieten die Beschlüsse nicht. Wäre die Wahl nächsten Sonntag, würde bei Peter Kaim auf dem Hof wohl etwa die Hälfte der Abgeordneten stehen. Das drängende Thema dieser Tage, Migration, taucht in den Beschlüssen nur am Rande auf.
Wer die SPD in diesen Tagen beobachtet, erlebt eine tief verunsicherte Partei. Die SPD ist, anders als die Grünen, offener für eine harte Asylpolitik. Wenn es rechtssicher möglich ist, auch für Zurückweisungen an der Grenze. Dass das Vorhaben den Schengenraum und damit die Freizügigkeit in der EU gefährden könnte, ist für führende Sozialdemokraten nachrangig.
Sie wollen vor allem zeigen, wie ernsthaft sie mit der Union die Vorschläge diskutieren. Viele Sozialdemokraten glauben, ebenso wie die Liberalen, dass sich nur durch eine rigorose Migrationspolitik ein weiteres Erstarken der Rechten verhindern lässt. „An uns wird es nicht liegen, wenn es nicht klappt“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg. Es werde „gute Vorschläge geben“, sagte er im ZDF-Sommerinterview.
Gewinnen, glaubt die SPD, könne sie durch das Thema nichts. Dafür habe sie die Verschärfungen, die sie im vergangenen Jahr erst auf europäischer Ebene ausverhandelt hat, nicht offensiv genug kommuniziert. Die Stimmung im Sommer 2023 war eine andere. Kurze Erinnerung: Als Innenministerin Nancy Faeser twitterte, die Reform sei ein "historischer Erfolg" für die EU, kritisierten das auch Sozialdemokraten. Der Berliner Senatsabgeordnete Mathias Schulz schrieb, er schäme sich dafür.
Nun kann die Partei nichts gewinnen, aber hätte laut eigener Analyse offenbar mehr zu verlieren, wenn sie ihre Migrationspolitik nicht so hart wie möglich ausgestalten würde. Das Innenministerium prüft die Vorschläge der Union, Anfang der kommenden Woche soll das Ergebnis vorliegen, so sicher wie noch vor wenigen Monaten ist sich die SPD nicht mehr, dass es keinen Spielraum für Zurückweisungen gibt. Die Entscheidungen, die aus der rechtlichen Prüfung folgen, werden politisch sein. Fraktionsvize Dirk Wiese sagte dem Tagesspiegel bereits in der vergangenen Woche, Zurückweisungen an der Grenze seien möglich. Das ist nicht unumstritten. „Wir haben als Ampel bereits mehrere Gesetze beschlossen und Grenzkontrollen ausgeweitet. Diese wirken“, sagte der Innenpolitiker Hakan Demir SZ Dossier. Es müssten Fluchtursachen bekämpft werden, „nicht Geflüchtete“.
Sicher, immerhin, ist die SPD beim Thema Rente. Dem Vernehmen nach hat der Kanzler die Verabschiedung des Rentenpakets 2 im Parlament in einer internen Sitzung quasi zur Bedingung fürs Weiterregieren erklärt. Die Rente soll so stabilisiert werden. Der Bild am Sonntag sagte der FDP-Abgeordnete Max Mordhorst, das Paket müsse „grundlegend“ geändert werden, sonst müsse die FDP es ablehnen.
Doch am vergangenen Mittwoch hat das Bundeskabinett eine Regelung verabschiedet, die Prämien für ältere Arbeitnehmer vorsieht, wenn sie ihren Renteneintritt verschieben. Diese ist an das Rentenpaket 2 gekoppelt, und der FDP wichtig. Auch wenn das Rentenpaket beschlossen würde, stellt sich die Frage: Wie viele Menschen werden die SPD tatsächlich dafür wählen, den Status Quo zu erhalten?
Die Zweifel in der Fraktion wachsen, vor allem am Spitzenpersonal. Fraktionschef Rolf Mützenich hatte zu Beginn der Fraktionsklausur zum Beispiel „dem Kanzler“ absoluten Rückhalt zugesichert – nicht unbedingt der Person Olaf Scholz.