Knapp 33 Prozent für die AfD in Thüringen, mehr als 30 in Sachsen. Das macht einerseits die Regierungsbildung schwer, aber es stellt die politischen Akteure auch darüber hinaus vor große Probleme.
Angefangen bei der Wahl des Landtagspräsidenten in Thüringen, oder der Landtagspräsidentin: Wenn spätestens am 30. Tag nach der Wahl der Landtag zu seiner ersten Sitzung zusammenkommt, wählen die Abgeordneten eine oder einen der ihren in ein nicht zu unterschätzendes Amt: Er oder sie repräsentiert das Parlament, führt seine Geschäfte, leitet die Verhandlungen „und wahrt die Ordnung im Hause“. So steht es in der Geschäftsordnung. Erst, wenn ein Landtagspräsident gefunden ist, kann auch der Ministerpräsident gewählt werden.
Da Björn Höcke und seine AfD die stärkste Partei sind, dürfen sie einen Kandidaten für das Amt vorschlagen. „Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält.“ Heißt: Die anderen Parteien können den AfD-Kandidaten verhindern.
Und dann? Erhält der Kandidat im ersten Anlauf keine Mehrheit, wird die Wahl wiederholt. Entscheidend wird im ganzen Prozedere die Rolle des Alterspräsidenten sein, des ältesten Abgeordneten. Er oder sie leitet die erste Sitzung. Kommt er jedoch auch von der AfD (wie es 2019 bereits der Fall war), könnte es kompliziert werden. Der Jurist und Gründer des Verfassungsblogs, Maximilian Steinbeis, hat dieses Szenario in seinem jüngst erschienen Buch „Die verwundbare Demokratie“ durchgespielt.
Demnach müsste der Alterspräsident „nach der etablierten parlamentarischen Praxis“ spätestens für den dritten Wahlgang andere Wahlvorschläge zulassen. Wenn mehrere Bewerber antreten und keiner die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält, kommt es zu einer Stichwahl. So sieht es die Geschäftsordnung des Landtags vor.
Steinbeis macht aber noch eine andere Möglichkeit auf: Der Alterspräsident könnte von der Praxis abweichen – und die AfD einfach so lange Kandidaten vorschlagen, bis über die gesamte Fraktion abgestimmt wurde und erst dann über Bewerber anderer Parteien abstimmen lassen. Die übrigen Parteien müssten also nicht nur einmal zusammenarbeiten, sondern diese Kooperation eine Weile durchhalten und die Nerven bewahren. Die AfD könnte sich ihrerseits großspurig inszenieren.
Die Parteien abseits der AfD müssten sich aber nicht nur darin einig sein, gemeinsam die Vorschläge der AfD abzulehnen, sie müssten sich auch auf einen eigenen Kandidaten verständigen – und zwar wohl noch bevor der Landtag überhaupt zusammentritt.
In Sachsen stellt sich die Lage anders dar: Dort ist die CDU stärkste Kraft und kann daher den Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorschlagen.
Besonders schwierig wird es im neuen Thüringer Landtag nun, weil die AfD mit 32 von 88 über mehr als ein Drittel der Sitze, also eine Sperrminorität verfügt. Alle Entscheidungen, die der Landtag mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit treffen muss, etwa Änderungen der Verfassung, kann sie damit blockieren. Oder die Konkurrenz zur Zusammenarbeit zwingen.
Relevant werden könnte das etwa bei der Besetzung der Richter am thüringischen Verfassungsgerichtshof. Die Amtszeit aller neun Richter endet spätestens 2029. Eine Neubesetzung müsste also in der kommenden Legislaturperiode geschehen. Allerdings, so schreibt Maximilian Steinbeis, blieben die Richter geschäftsführend im Amt, bis ein Nachfolger gewählt ist. Auch Stellvertreter gibt es. Aber, so schreibt Steinbeis, „als Institution nimmt das Gericht Schaden, je länger seine Mitglieder über ihre reguläre Arbeitszeit hinaus weiterarbeiten müssen“. Ihnen fehle die demokratische Legitimation.
Und in der Justiz bleibt es nicht bei dieser Blockademöglichkeit. Laut Artikel 89 Absatz 2 der Thüringer Verfassung werden zwei Drittel der Mitglieder des Richterwahlausschusses vom Landtag gewählt, mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Außerdem muss jede Fraktion mit einer Person in diesem Gremium vertreten sein.
Gelingt es der AfD, den Ausschuss zu blockieren, hat das Folgen. Dieser Ausschuss ist dafür zuständig, Richter auf Lebenszeit zu berufen. Und das dürfte schon bald sehr relevant werden. Laut Angaben des Deutschen Richterbunds gehen besonders in Thüringen demnächst viele Richter, Staatsanwälte und Proberichter in Pension. Ändern lässt sich an dem Verfahren ohne die Zustimmung der AfD nun nichts mehr, denn das würde eine Verfassungsänderung bedeuten. Und eine Zwei-Drittel-Mehrheit verlangen.
Und in Sachsen? Dort dauerte die Auszählung der Stimmen länger. Weit nach Mitternacht wurde allerdings bekannt: Die AfD kommt im Landtag auf 41 von 120 Sitzen, also mehr als ein Drittel. Sie verfügt damit auch im Dresdner Landtag über eine Sperrminorität. Tim Frehler