„Ich glaube, intellektuell und emotional ist die Zeitenwende – insbesondere bei den Soldaten – angekommen“, sagte Frank Leidenberger. Konzeptionell sei alles auch durchdacht, aber die Umsetzung trotz allem nicht ganz so einfach. Wer sich mit der Digitalisierung der Truppe beschäftigt, kommt an Leidenberger nicht vorbei. Der Generalleutnant a. D. des Heeres führt die Geschäfte der BWI, die sich als IT-Systemhaus der deutschen Streitkräfte versteht.
Mit über 7000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an mehr als 130 Liegenschaften und einem Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro ist die 100-prozentige Bundesgesellschaft mit Betrieb und Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik der Bundeswehr beauftragt. Doch wie digital ist die Truppe?
„Eine Herausforderung ist, dass der Nachholbedarf der Bundeswehr hoch war und noch ist“, sagte Leidenberger. Vieles, was die Bundeswehr aus dem Sondervermögen kaufe, falle eher unter die Kategorie Grundbefähigung. „Wenn man da etwas tiefer schaut, dann sieht man, dass es noch nicht in erster Linie um digitale Lösungen geht, sondern eher um grundlegende Kommunikationsanwendungen“, so Leidenberger.
Deutschland, sagte Leidenberger, befinde sich trotz Unterstützung der Ukraine und verschiedener Cyberattacken nicht im Krieg. „Wir wissen, dass uns ein Krieg drohen könnte und wir wissen, dass wir verteidigungsfähig werden müssen. Aber wir sind rechtlich gesehen im Frieden und sind an den damit einhergehenden Rechtsrahmen und Risikoabwägungen gebunden“, sagte Leidenberger. Etwa an das Vergaberecht, das die Bemühungen oftmals etwas ausbremst.
„Wenn das aktuelle Vergaberecht und eventuell damit einhergehende Verzögerungen stören, darf man nicht auf diejenigen schimpfen, die es anwenden müssen“, sagt er. Für eine schnellere Umsetzung müsse vielmehr der Rechtsrahmen angepasst werden. „Insgesamt sollten wir als Gesellschaft innovationsfreudiger werden. Aktuell wird alles, was nicht tausendmal erprobt wurde, zögerlich oder gar nicht umgesetzt“, fügte er hinzu.
Und dann gibt es da noch die Haushaltslage, die Priorisierung der Staatsausgaben, in der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mehr Geld für die Bundeswehr gefordert hatte – gerade auch, um die Digitalisierung voranzubringen.
Zu tun gibt es viel: Unter anderem das Thema Cybersicherheit treibt die BWI um. „Hybrides und mobiles Arbeiten ist eine notwendige, digitale Lösung, die sicher sein muss“, nannte Leidenberger ein Beispiel. „Dies in einer gesicherten IT-Umgebung mit den besonders zu schützenden Daten der Bundeswehr umzusetzen, das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir als BWI stehen.“
Die Bundeswehr muss gemäß Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) souveräne Lösungen schaffen. Wobei man sich immer fragen könne, was denn eigentlich souverän sei. „Wir arbeiten mit großen Technologiefirmen zusammen, das geht gar nicht anders“, sagte Leidenberger. In den Händen der BWI liege aber unter anderem die Gesamtarchitektur bei der Entwicklung von Anwendungen. Durch eigene Rechenzentren sollen Lösungen immer verfügbar sein, auch im Ernstfall.
Die BWI baut zudem eine private Cloud für die Bundeswehr. „Unser Ziel ist, mithilfe der Cloud flexibler Applikationen für die Bundeswehr entwickeln zu können“, sagte Leidenberger. Die soll am Ende auch bei den Soldatinnen und Soldaten ankommen. Sprich: die Arbeits- und Leistungsfähigkeit verbessern. Auch mit Künstlicher Intelligenz: „Wir sind gerade dabei, eine Art Large Language Model für die Bundeswehr zu entwickeln“, nannte Leidenberger ein Beispiel. Ziel sei, dass man „auch per Sprache mit den Informationssystemen kommunizieren kann“ – also ähnlich wie bei ChatGPT.
Persönlich fehle ihm aber oft der Blick auf die Frage, was die Soldaten eigentlich auf dem Gefechtsfeld brauchen. „Ich glaube, dass die Diskussion darüber, wie man in der Zukunft kämpfen will, viel breiter geführt werden müsste“, sagte Leidenberger. Es sei wichtig, mehr Risiken zu akzeptieren, finanzielle Freiräume zu schaffen. Wer sich schneller bewege, werde auch auf dem Gefechtsfeld immer eine gewisse Überlegenheit erzielen. „Und die muss man sich immer wieder erkämpfen, denn Stillstand ist Rückschritt. Man darf nicht nie glauben, dass man mit etwas fertig ist.“ Gabriel Rinaldi