Keine Frage, warum Thierry Breton am Montag einen Brief an Elon Musk veröffentlichte, um ihn, als Eigner der Plattform X, an seine Pflichten aus europäischer Gesetzgebung zu erinnern: Erstens ist es sein Job als EU-Digitalkommissar, den Digital Services Act durchzusetzen. Zweitens stand auf X eine große Show an, Musk im Gespräch mit Donald Trump, die große Reichweite vermuten ließ, inklusive – es ist das Internet – in der EU.
Drittens war Breton allein zu Haus in der Europäischen Kommission – er war der Diensthabende in der sommerlichen Rotation, wie sein Team sagte. Ein minderer Grund, aber zur Stärkung des Arguments nützlich, er habe alles Recht gehabt, sich erneut mit Musk anzulegen. Es gab nämlich Ärger, eine gewisse Distanzierung der Kommission von Bretons Vorstoß („nicht abgestimmt“) und ein Aufschrei der Rechten in den USA und Europa: Die Kommission beschneide die Meinungsfreiheit.
In Bretons Brief stand: Das Recht auf Meinungsfreiheit sei abzuwägen gegen Gefahren, die von Aufrufen zu Gewalt ausgehen würden, wie zuletzt während der Unruhen in Großbritannien der Fall. X, als sehr große Plattform, müsse über die Moderation von Inhalten Verantwortung dafür übernehmen, was sie an Nutzer ausspielt. So funktioniert der DSA und zuletzt gab es Zweifel, dass Musk sich daran halten wolle; es läuft eine offizielle Untersuchung.
In Europa ist die Meinungsfreiheit keine absolute. In Deutschland darf man nicht den Holocaust leugnen, in Spanien nicht den König beleidigen, in Italien führen Regierungsmitglieder Prozesse wegen Herabsetzung. Im Internet soll der DSA dafür sorgen, dass online dasselbe gilt. Insofern sind die Libertären und die Rechten, Fans von Musk und Freunde Trumps, auf nichts Neues gestoßen, wenn sie beklagen, die Meinungsfreiheit in Europa sei eingeschränkt.
Nicht zum ersten Mal prallt ein so radikales und bisweilen banales Verständnis vom Sagbaren (alles halt) auf den Anspruch des Gemeinwesens, sich gegen die algorithmenbasierte Verbreitung von falschen oder möglicherweise strafbaren Inhalten zu schützen. Es wird nicht das letzte Mal sein: Musk ist auf einer Mission und die europäische Gesetzgebung muss sich in Anwendung und Durchsetzung erst beweisen.
Musk ist der Eigner der Plattform und einer ihrer aktivsten Nutzer, mit 195 Millionen Followern und dem Schlüssel zum Algorithmus. Der bläst Randständiges und Seltsames, aber auch Gefährliches auf, wenn es nur ausreichend Emotion und Interaktion gibt – der Markt, der laut Musk regeln soll, ist ein verzerrter. Bretons diesbezügliche Kompetenzen sind auch daher denen der Wettbewerbskommissarin nachempfunden.
Die Lage ist eine besondere: Musk muss in der Rolle als Eigner Mechanismen bereitstellen, die ihn in der anderen auch selbst einschränken könnten – Bretons Schreiben konnte missverstanden werden und wurde es auch. Es sei Breton nicht um die Debatte mit Trump gegangen und was dort gesagt wurde, sondern um Moderationsregeln, sagte ein Berater des Kommissars. Musk habe ja einen Stresstest für die Infrastruktur durchgeführt, eine Gelegenheit für den Hinweis, dass auch die Inhalte heißlaufen können.
Wozu Musk Breton in einem Meme aufforderte, ist seit Anfang der Geschichte das Krasseste, was sich ein Mitglied der Kommission anhören musste. Ironie, Sarkasmus und Unflätigkeit seien Musks Mittel der Wahl, wenn er sich angegriffen fühle, hieß es aus Bretons Umgebung. Wichtiger sei, was er auf das Schreiben antworten werde – das werde auch in die laufende Untersuchung eingehen. Eine Geldbuße wegen DSA-Verstößen kann bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes ausmachen.
Warum Breton aber seinen Brief nicht nur geschrieben und abgeschickt, sondern ausgerechnet auf X gepostet hat? 93 Millionen Views hatte er zuletzt. Nicht so schlecht für die Mahnung eines Regulators.