Das Bild, von dem so viele dachten, es würde den US-Wahlkampf der kommenden Wochen und Monate prägen, ist bereits ein Fall für die Geschichtsbücher. Über die Kugel, die den US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump am Ohr streifte, redet kaum noch jemand. Kamala Harris bestimmt jetzt die Agenda, das Momentum hat sich gedreht.
Durch die Stabübergabe bei den Demokraten erfuhr dieser US-Wahlkampf eine neue Dynamik: Plötzlich kam Bewegung in das Rennen, so etwas wie Aufbruchstimmung keimte auf. Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Deutschland, wirkt die politische Lage hingegen festgefahren.
Die Union führt die Umfragen an und erzielt dabei fast so hohe Werte wie alle drei Ampelparteien zusammen. Bewegung, so scheint es, entsteht allenfalls an den Rändern, wo das BSW auf das bundespolitische Spielfeld drängt, wo sich die Frage stellt, wie stark die AfD wird und wo die Linke um ihr Überleben bangt. Aber so etwas wie Aufbruchstimmung? Das zeichnet sich gerade nicht ab. Für die Kampagnenplaner – vor allem in den Reihen der Ampel – dürfte sich daher die Frage stellen, wie sie eine Trendumkehr herbeiführen können.
Der Politikberater Frank Stauss, der schon seit etlichen Jahren Wahlkämpfe managt, viele davon für die SPD, hat für das kommende Jahr zunächst einmal eine gute Nachricht parat: „Bis zur Bundestagswahl besteht noch großes Potenzial für Veränderungen“, sagte Stauss SZ Dossier. Um das zu erkennen, müsse man gar nicht bis in die USA schauen, ein Blick auf die vergangene Wahl reiche aus, so Stauss. 2021 sei das Momentum auch erst durch die Patzer von Grünen und Union wenige Wochen vor der Wahl entstanden. Für Stauss bedeutet das: „Diese ‚Volatilität‘, wie man sie gerade in den USA beobachten kann, die finden wir auch in Deutschland.“
Die Ausgangslage ist dieses Mal jedoch eine andere. Für die SPD und ihren Kanzler sieht Stauss drei große Herausforderungen.
Erstens: Olaf Scholz‘ Erzählung aus dem vergangenen Wahlkampf, mit ihm gebe es keine Experimente, das Land werde kompetent und sicher regiert, „die wird nicht funktionieren“, sagte Stauss. „Diese Attribute werden der Regierung nicht mehr zugesprochen.“ Das Macher-Image sei beschädigt.
Zweitens: Darüber hinaus stelle sich für die SPD die Frage, welche Machtoptionen sie nach der Wahl eigentlich noch hat. Wenn Scholz Kanzler bleiben will, gebe es im Prinzip nur zwei Konstellationen, sagte Stauss: „Die Ampel wird wiedergewählt, was ich für schwierig halte.“ Oder die SPD werde nach der Wahl stärkste Partei und könne eine Große Koalition anführen. „Das löst bei vielen aber auch keinen Enthusiasmus aus“, sagte Stauss.
Drittens: Nichts von dem, was die Ampel erreicht habe, sei ohne großes Gejammer, ohne Wehklagen zustande gekommen, sagte Stauss. Die dritte große Herausforderung sei daher „der faktische Zustand der Koalition“.
Was also tun? Jedenfalls nicht das, was die Sozialdemokraten bei der Europawahl versucht haben. „Das war ein relativ ideenfreier Aufguss der Bundestagswahl 2021“, sagte Stauss. „Sowohl optisch als auch inhaltlich.“ Was es jetzt brauche, sei ein neuer Aufbruch. Nur wie? „Ich finde nach wie vor, dass viel gemacht wird. Aber diese Regierung ist völlig unfähig darin, Erfolge zu feiern“, sagte Stauss. Auch in der SPD herrsche bisweilen Sprachlosigkeit, man nehme sich viele Vorwürfe der Gegner auch noch zu Herzen, anstatt sie mit Gegenargumenten zu entkräften.
Gleiches gelte für die Kommunikationskanäle der Regierung: „Ich sehe viel zu wenig davon, wie man Leute wirklich darüber aufklärt, was es an Neuerungen gibt und was diese Regierung für weite Teile der Bevölkerung auf den Weg gebracht hat.“ Beispiel Bürgergeld: „Die ganze Kommunikation zu dieser Reform hat gar nicht stattgefunden, sonst wüssten viel mehr Menschen, dass das Bürgergeld eigentlich gut für sie ist, dass es ihnen Stabilität verschafft. Aber dafür hätte man eben eine Aufklärungskampagne gebraucht“, sagte der Politikberater. Auch für eine Regierung gebe es also Mittel und Wege zu kommunizieren, Leute zu erreichen und Fakten zurechtzurücken. Tim Frehler