Die Olympischen Spiele sind eine Maschine. Von ihrer Eröffnung bis zum Ende produzieren sie unaufhörlich Sieger und Verlierer, Helden und Geschlagene. Vor allem aber produzieren sie Bilder. Bilder, wie das von Remco Evenepoel am Samstag. Der Belgier hatte gerade als erster den Zielstrich im Straßenradrennen überquert, stieg vom Rad und reckte noch an der Ziellinie die Arme in die Höhe. Vor ihm stand seine Rennmaschine, hinter ihm der Eiffelturm. Es war eine epische Leistung vor epischer Kulisse. Und manch einer in Deutschland dürfte dabei neidisch gen Frankreich geblickt und sich gefragt haben: Warum steht der Mann eigentlich nicht vor dem Brandenburger Tor?
Einen Tag zuvor kam Deutschland dieser Vorstellung jedenfalls einen Schritt näher, wenn auch nur einen kleinen. Am Freitag unterzeichnete Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eine gemeinsame Erklärung zwischen Innenministerium, dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), den Städten Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Leipzig und München sowie den Landesregierungen Bayern und NRW über eine deutsche Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele. „Wir wollen die großen Chancen nutzen, die Olympische Spiele für unseren Zusammenhalt, für unsere Wirtschaft und den Sport bieten“, sagte Faeser. Sie sei sicher, dass die Partner gemeinsam „eine starke Bewerbung auf den Weg bringen werden“.
Dabei stellen sich allerdings noch einige Fragen, nicht zuletzt die der Bürgerbeteiligung. Im Gegensatz zur Innenministerin sahen viele bei vergangenen Bewerbungen nämlich weniger die Chancen als offenbar mehr die Risiken und Nebenwirkungen, die mit so einem Großprojekt verbunden sind: In München sagten die Bürger der Stadt und der betreffenden Regionen 2013 „Nein“ zu einer Bewerbung um die Winterspiele 2022. Die gingen dann nach Peking. Zwei Jahre später wurden die Menschen in Hamburg gefragt, dieses Mal ging es um die Sommerspiele 2024. Und auch die Bürger der Hansestadt lehnten dankend ab.
Um Bürgerinnen und Bürger dieses Mal schon frühzeitig einzubinden, veranstaltete der DOSB im Herbst vergangenen Jahres Dialogforen in den Städten, die an einer Ausrichtung interessiert sind. So konnten die Menschen in Leipzig, Hamburg, München, Berlin und – stellvertretend für NRW – Düsseldorf bereits über eine mögliche Olympiabewerbung diskutieren. Die Ergebnisse fasste der DOSB in der sogenannten Frankfurter Erklärung zusammen. Dazu, wie es nun in Sachen Partizipation weitergeht, heißt es darin: „Es ist ein modernes Beteiligungskonzept zu entwickeln, das eine dauerhafte und transparente Beteiligung der Bevölkerung auf nationaler und kommunaler Ebene sowie eine angemessene und verbindliche Einflussnahme ermöglicht.“
Wie genau dieses Konzept letztlich aussehen soll, ist aber noch offen. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte gestern: „Die Wahl der Beteiligungskonzeption hängt schlussendlich stark vom Ausrichtungskonzept bzw. den ausrichtenden Regionen ab, die Teil des Olympiakonzepts werden.“ Mehr Details könne man dazu derzeit nicht nennen. Stephan Brause, Leiter der Stabsstelle Olympiabewerbung beim DOSB sagte, man arbeite mit Bund, Ländern und den Städten „an modernen Konzepten, die über eine Ja-oder-Nein-Entscheidung an einem Tag viele Jahre vor den Spielen hinausgehen, diese aber nicht ausschließen.“
Vieles ist also noch im Fluss. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher hat in dieser Frage allerdings bereits angekündigt, er könne sich eine Bewerbung seiner Stadt zusammen mit Berlin vorstellen, davor stünde aber in jedem Fall ein Volksentscheid. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter sagte im November: „Ohne die Zustimmung der Münchnerinnen wird sich die Stadt nicht bewerben.“ Anfang 2023 veröffentlichte die Stadt jedoch eine Umfrage, nach der fast zwei Drittel der Münchner eine erneute Bewerbung begrüßen würden.
Philip Krämer, stellvertretender Vorsitzender im Sportausschuss des Bundestages und Politiker der Grünen, ist mittlerweile vorsichtig geworden, wenn es um den Ruf nach Bürgerbeteiligung geht. „Es ist für diejenigen mit einer Anti-Haltung einfach sehr leicht, zu mobilisieren und Leute zusammenzubringen“, sagt Krämer. Bürgerbeteiligung sei daher aus seiner Sicht keine Voraussetzung, um eine Olympiabewerbung umzusetzen, vielmehr müsse es bei den Menschen im Land eine positive Stimmung für so ein Projekt geben. Er plädiert daher für einen Begleitplan, der parallel zur Bewerbung für die Spiele, dafür sorgt, dass „alle Kinder und Jugendlichen, die Sport machen wollen, das auch machen können und die Vereine dafür ausreichend Sportstätten zur Verfügung haben“. Tim Frehler