Ganz am Rand von Deutschland, in Lubmin, kommen die deutschen Nord-Stream-Pipelines an. Als sie am 26. September 2022 bei einem Anschlag nahe der dänischen Insel Bornholm gesprengt wurden, wurde sichtbar, wie verletzlich kritische Infrastruktur auch unter der Meeresoberfläche sein kann.
Russisches Gas fließt durch die Leitungen nicht mehr, drei Stränge wurden zerstört, einer stillgelegt. Doch auch künftig wird Energie, zum Beispiel in Form von grünem Wasserstoff, nach Deutschland importiert werden müssen. Das deutsche Unternehmen Gascade will gemeinsam mit dänischen Unternehmen bis 2027 eine Pipeline von Bornholm nach Lubmin bauen. Wie aber soll die Offshore-Leitung geschützt werden? „So wie all unsere Energieinfrastruktur lässt sie sich nicht in Gänze sichern“, sagte Dennis Wehmeyer von Gascade. Man müsse sie eben schützen, so gut es gehe.
Am Meeresgrund ist kritische Infrastruktur am verletzlichsten, eine flächendeckende Überwachung kaum möglich. Gefährdet sind vor allem Stromtrassen, Pipelines und Datenkabel. Mindestens 95 Prozent des interkontinentalen Datenverkehrs läuft über Unterseedatenkabel. Doch was ist, wenn sie kaputtgehen oder zerstört werden?
Das Internet, es würde in einem solchen Fall kaum noch funktionieren. Benjamin Brake, Abteilungsleiter „Digital- und Datenpolitik“ im Digitalministerium, sagte: „Unterseekabel sind sehr schwer physisch zu schützen und es dauert zuweilen lang, sie zu reparieren.“ Die Gefahr ist real. Zwar sind die Kabel redundant verlegt und die Kapazitäten wesentlich höher als notwendig. Heißt konkret: Wenn eines davon kaputtgeht, würde es in Deutschland noch nichts verändern.
„Aber wenn zehn oder zwanzig davon gleichzeitig durchtrennt würden, dann hätten wir hier ein Problem. Dann würde das Internet nicht mehr oder nur sehr begrenzt funktionieren“, sagte Frank Sill Torres, Leiter des Instituts für den Schutz maritimer Infrastrukturen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Abteilungsleiter Brake betont, für ausreichend Redundanzen müsse man „Kabel bauen, bauen, bauen“. Immer wieder würden Tiefseekabel versehentlich kaputtgehen, hauptsächlich durch Fischerboote, sagte Sill Torres. „Doch in etwa 20 Prozent der Fälle ist es unklar, warum ein Kabel durchtrennt ist.“
Es gebe drei Hauptgefahren bei den Unterseekabeln. Erstens, dass die Kabel im Meer durchtrennt werden. Das sei aufwendiger, sowohl für die Angreifenden als auch für die, die es wieder reparieren müssen. Für Nord- und Ostsee gäbe es gerade einmal zwei Reparaturschiffe. Zweitens, wenn die Kabel an den Anlandestationen – das sind meistens Häuschen an der Küste – durchtrennt werden. An den Anlandestationen kann es auch zur dritten Gefahr kommen: Spionage. Die Datenströme könnten dort physisch, mithilfe von Kabeln, abgefangen werden. Im Meer sei das technisch kaum möglich.
Wichtig sei deshalb, die Anlandestationen in Deutschland ausreichend zu schützen. Die jüngste Verordnung zum deutschen IT-Sicherheitsgesetz vom Februar 2023 definierte sie erstmals als kritische Infrastrukturen. Außerdem müsse die Regierung auch die Datenkabel in Nord- und Ostsee schützen, etwa mit Satelliten oder Drohnen die Wasseroberfläche überwachen. In staatlichen Hoheitsgewässern und in der ausschließlichen Wirtschaftszone eines Landes, die von der Küste bis zu 200 Seemeilen in das Meer hinausreicht, ist erst einmal die Polizei für die Sicherheit zuständig.
Die wichtigen Knotenpunkte befinden sich in internationalen Gebieten. Deutschland und Norwegen haben gemeinsam eingeleitet, dass sich die NATO seit November 2022 mit der Verbesserung des Schutzes maritimer Infrastrukturen außerhalb von nationalen Territorialgewässern befasst. Dazu wurde eine Koordinierungszelle mit deutscher Personalbeteiligung eingerichtet. Norwegische Datenkabel wurden bereits Ziel von gesteuerten Sabotageakten.
Doch mehr als 90 Prozent der Unterseedatenkabel gehören privaten Unternehmen, von denen sich nur einige in staatlichem Besitz befinden. Da es internationale Verbindungen sind, kann Deutschland allein nicht so viel bewirken. Abteilungsleiter Brake sagte, man suche deshalb Lösungen auf europäischer Ebene.
In Brüssel gebe es einen breiten Konsens, dass man die Infrastruktur besser schützen müsse. Unter anderem gebe es nun zwei EU-Initiativen für Unterseedatenkabel, die Europa an Asien und Nordamerika anschließen und durch politisch sichere Gewässer führen sollen. Außerdem werde die EU eine informelle Expertengruppe zum Thema Unterseedatenkabel aufbauen.
Im Digitalministerium versucht man, diese Aspekte im geplanten Kritis-Dachgesetz zu verankern, das die Sicherheit relevanter Infrastrukturen verbessern soll. Doch das Gesetz wird seit Monaten diskutiert und ist noch immer nicht beschlossen. Derweil werden weltweit jede Woche zwei Unterseekabel durchtrennt. Selina Bettendorf, Gabriel Rinaldi, Valerie Höhne