Seit einem Jahr ist die Nationale Sicherheitsstrategie in Kraft. Sie sollte die Zeitenwende handfest machen. Zeit für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein erstes Fazit zu ziehen. Sie war es, die das Papier koordinierte und im Juni 2023 mit deutlicher Verspätung vorstellte. Der Kern: Innere und äußere Sicherheit sollten gemeinsam gedacht werden. Doch bereits die Erstellung scheiterte fast an den Ländern, die nicht mit einbezogen wurden.
Der größte Streitpunkt ist nach wie vor die Frage, ob Deutschland einen Nationalen Sicherheitsrat nach amerikanischem Vorbild braucht. Das Vorhaben scheiterte am Widerstand der Grünen, doch mancher Liberale hat damit noch nicht abgeschlossen: „Die vor nunmehr einem Jahr vorgelegte Nationale Sicherheitsstrategie war ein richtungsweisendes Erfolgsprodukt im Sinne einer integrierten und umfassenden Zeitenwende, bleibt in seiner Umsetzung bisher leider hinter den Erfordernissen zurück“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende und Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Link, SZ Dossier.
Das liege vor allem am fehlenden Nationalen Sicherheitsrat, der ressortübergreifend gemeinsame Lagebilder ermöglichen und so die Sicherheitspolitik vernetzen würde. Man müsse sich überlegen, wie man noch effektiver werde – das sei aber ein Prozess, der fortgesetzt werde, sagte Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter (CDU). In der nächsten Legislaturperiode solle „darüber noch einmal neu nachgedacht“ und möglicherweise entschieden werden.
Selbst das Fazit des Auswärtigen Amts ist durchwachsen. „Eine Strategie ist kein Allheilmittel, das für jede Situation die passende Lösung vorschreibt“, sagte Baerbock gestern bei einer Tagung zur Sicherheitsstrategie. Ziel und Zweck sei es, Prioritäten zu setzen, Ziele und Prinzipien festzulegen. Die Zusammenarbeit müsse nicht nur zwischen Ressorts gestärkt werden, sondern auch zwischen Bund und Brüssel, der Nato, mit Ländern, Kommunen und der Gesellschaft. Die Sicherheitsstrategie sei ein „Navigationssystem“, das aber nicht „jede rote Ampel oder den Hund, der plötzlich über die Straße läuft, vorhersehen“ könne.
Das sei nicht überall angekommen, stellte Kiesewetter fest. „Wo wir stehen, ist für mich das Glas mal gerade so halbvoll, weil es eine wichtige Initiative war, aber weil ich nicht feststelle, dass wir in der Gesamtheit doch bereit sind, in unserer Gesellschaft die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, uns klarzumachen, dass wir jeden Tag, jede Sekunde erheblichsten Gefahren ausgesetzt sind“, sagte Kiesewetter. Angesichts der Wahlen in Frankreich und der Debatten in den USA sei Deutschland als „Motor in Europa und in der Nato“ gefordert.
Was hat Deutschland denn nun erreicht? Das Sichtbarste sei die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit und der europäischen Wehrhaftigkeit. Die Stärkung des Nato-Pfeilers also, das deutsche Zwei-Prozent-Ziel. Baerbock nannte die Schaffung einer Einheit zur Früherkennung ausländischer Desinformation, zudem die Untersuchung von Abhängigkeiten in Lieferketten und Klimaschutzbemühungen.
Konkrete Wegmarken fehlten. Ob es am Geld liegt? Die Außenministerin findet die Schuldenbremse sei ein Sicherheitsrisiko. In diesem Sinne, sagte sie, werde es für die nächsten Wochen zentral sein, dass die Regierung über den Tag hinaus und nicht nur in Quartalszahlen oder Legislaturperioden denkt. Es brauche, darin ist sich die Sicherheitsszene einig, nicht mehr Strategien – sondern die Umsetzung von Maßnahmen.
Dazu passt eine Meldung der dpa: Demnach hat die Regierung kürzlich den Verteidigungsausschuss des Bundestags zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gebrieft. „Die Ampel wird die Bundeswehr in einem schlechteren Zustand übergeben, als sie sie übernommen hat“, erzählte Johann Wadephul (CDU). Trotz Zeitenwende, trotz Nationaler Sicherheitsstrategie. Das gelte für die materielle und personelle Ausstattung. Es fehle schlicht an effektiven Maßnahmen. Gabriel Rinaldi