Der CSU-Abgeordnete Peter Aumer hat vorgestern eine Nachricht aus seinem Wahlkreis bekommen. Die Mutter einer Zweijährigen habe ihm geschrieben, ihre Tochter warte seit einem Jahr auf ein neues Herz. „Sie hat die belastende Situation beschrieben, und dann geschrieben: Sie findet es wichtig, dass sich alle mal über das Thema Gedanken machen“, erzählte er gestern in der Bundespressekonferenz. Aumer musste nicht groß darum bitten.
Abgeordnete von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken haben gestern ihren Vorschlag zu einer tiefgreifenden Reform des Organspenderechts vorgestellt. Sie wollen eine einfache Widerspruchslösung einführen. Das würde bedeuten: Widerspricht eine Person vor ihrem Tod nicht aktiv der Entnahme ihrer Organe, würde sie automatisch zum potenziellen Spender. Die Angehörigen hätten, anders als heute, kein eigenes Entscheidungsrecht. Diese Regelung gilt bereits in elf EU-Ländern, darunter Spanien, Frankreich, Italien, Irland und Österreich.
Bei aller Tragweite politischer Entscheidungen, Fragen von Leben und Tod sind keine von Parteiprogrammen. Die Gruppe muss sich im Bundestag eine Mehrheit suchen, die ihrer Linie folgt in der Frage, um die es geht: Welches Recht hat die Gesellschaft an ihren Mitgliedern?
Doch erst 2020 hat sich der Bundestag eingehend mit einer Organspendereform beschäftigt und sich gegen diese Lösung und stattdessen für mehr Aufklärung und niedrigschwellige Angebote, sich über die Organspende zu informieren, entschieden. Die Widerspruchslösung „ist, aus meiner Sicht, eine Regelung, die massiv in das Selbstbestimmungsrecht eingreift“, sagte der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann, der nicht Teil der Gruppe ist, SZ Dossier.
Warum also der erneute Vorstoß? Die Bereitschaft zur Spende ist der Schlüsselfaktor für die Zahl der transplantierten Organe. „Ich muss Ihnen sagen“, sagte die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar, „wir sind schlicht und ergreifend nicht zufrieden mit den Zahlen.“ Die strukturellen Verbesserungen wie die bessere finanzielle Ausstattung von Krankenhäusern oder die Ernennung von Transplantationsbeauftragten hätten kaum zu einer Erhöhung der Spenderinnen und Spender geführt. Derzeit warten in Deutschland rund 8400 Menschen auf ein Organ, im Jahr 2022 gab es 869 postmortale Organspenderinnen und -spender. In der Bundesrepublik kommen auf eine Million Einwohner etwa zehn Organspenderinnen und Organspender. In Spanien sind es rund 45.
„Viele versterben im Warten, drei Menschen pro Tag“, sagte Gitta Connemann (CDU). Dabei seien 84 Prozent der Deutschen einer Organspende gegenüber aufgeschlossen, das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Doch nur 40 Prozent dokumentierten diese Haltung. Die Widerspruchslösung sei zwar „kein Allheilmittel“, dennoch wäre es ein Paradigmenwechsel, sollte die Reform eine Mehrheit im Bundestag finden. Bislang, sagte ihr Fraktionskollege Aumer, sei das System auf Nicht-Spenden ausgelegt.
Der Grünen-Politiker Armin Grau ist Neurologe und gehört ebenfalls zu den Befürwortern. Er beschrieb, wie schwierig die Situation derzeit für die Angehörigen sei, die oft erraten müssten, was der Wunsch des Gestorbenen gewesen wäre. „Viele Angehörige entscheiden sich dann dagegen“, sagte er. Er glaubt, der Vorschlag sei eine Entlastung für sie. Denn obwohl ihnen kein Entscheidungsrecht mehr zustünde, müssten Ärztinnen und Ärzte nicht gegen den erklärten Willen von Angehörigen Verstorbenen Organe entnehmen, sagte Grau.
Noch etwas will er perspektivisch diskutieren: Ob nach einem Herztod künftig möglicherweise Organe gespendet werden können. Bislang ist das in Deutschland nur nach dem Hirntod der Fall, das sind nur zwei Prozent der Todesfälle im Land. Die Zahl der Spenderinnen und Spender könne also steigen, sagte Grau. Doch daraus ergäben sich viele Fragen: wie lange man reanimiere, zum Beispiel, wann also klar sei, dass der Tod unumkehrbar sei. Beim Hirntod dagegen habe man „sehr sichere Kriterien“.
Diese Frage aber sei nicht entscheidungsreif – die nach der Widerspruchslösung aber schon. Doch selbst die Gruppe der Abgeordneten, die den Antrag eingebracht hat, rechnet nicht damit, dass dieses Jahr eine Entscheidung im Bundestag fällt. Sie hoffen nun auf 2025.