Das Herz der Fußballwelt schlägt ab heute in Deutschland, ab 21 Uhr rollt in München und neun anderen Städten der Ball. 24 Teilnehmernationen treten in 51 Spielen gegeneinander an, allein Berlin erwartet 2,5 Millionen Fußballfans aus aller Welt. Deutschland hofft auf ein Sommermärchen, die Sicherheitsbehörden stehen vor einer riesigen Herausforderung.
Die Sicherheitslage ist heikel, die Liste der Bedrohungen lang: Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, islamistisch motivierter Terrorismus, rechter Terror, Cyberkriminalität, die Krankenhäuser und Parteizentralen lahmlegt. Für die Sicherheitsbehörden stehe kein fröhliches Fest an, sondern vor allem ein anstrengendes, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
Und auch wenn Kanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung sagte, die Deutschen sollen sich die Vorfreude auf dieses Fußballfest nicht nehmen lassen, schließlich hätten sich die Behörden sorgfältig vorbereitet, bleibt bei vielen Angst. Fast jeder Zweite sorgt sich laut einer Umfrage von YouGov und Sinus-Institut darum, dass es im Umfeld der EM zu Terroranschlägen kommen könnte. Jeder fünfte Deutsche will aus Angst vor Anschlägen nicht zum Public Viewing, wo mit rund zwölf Millionen Besuchern gerechnet wird.
„Das Risiko islamistischer Terroranschläge in Deutschland ist anhaltend hoch und wir können nicht von einer Entspannung der Lage in absehbarer Zeit ausgehen“, sagte CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries SZ Dossier. Es bestehe Anlass zur Wachsamkeit. Aber keineswegs Grund zur Panik.
Wer sich mit Sicherheit auskennt, weiß, dass es hundertprozentige Sicherheit nie geben kann. Gute Vorbereitung ist daher, fast wie im Fußball, alles. „Die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes bereiten sich seit Jahren vor, um die Sicherheit beim Turnier zu gewährleisten“, teilte das Innenministerium mit.
Ein 23-jähriger Mann wurde am vergangenen Freitag am Flughafen Köln/Bonn festgenommen. Er hat die deutsche, marokkanische und polnische Staatsangehörigkeit. Ihm wird vorgeworfen, die Terrorgruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) finanziell unterstützt zu haben, die den Anschlag auf die Moskauer Konzerthalle für sich reklamiert. Aufrufe des IS-Ablegers zu terroristischer Gewalt gab es vor der EM zuhauf. Der Mann soll sich als Ordner bei der EM beworben haben, der Generalbundesanwalt beantragte Haftbefehl gegen ihn.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte gestern, die Sicherheit der Fußball-Europameisterschaft habe oberste Priorität. „Wir wappnen uns gegenüber allen denkbaren Gefahren: vom islamistischen Terror bis hin zu Gewalttätern und Hooligans“, sagte Faeser. Die Länderpolizeien stünden vor einem enormen Kraftakt, die Bundespolizei gar vor dem größten Einsatz ihrer Geschichte. Zehntausende Sicherheitskräfte werden im Einsatz sein, hohe Präsenz zeigen, bei Bundespolizei und in einigen Landespolizeien gibt es Urlaubssperren.
Unterstützt werden sie von 580 internationalen Polizeikräften aus allen Teilnehmerländern. Sie werden bei gemeinsamen Streifen an Bahnhöfen und in Zügen eingesetzt, aber auch an Flughäfen und an den Grenzen. „Der Schwerpunkt liegt dabei auf Deeskalation und Kommunikation“, heißt es aus dem Innenministerium. An allen deutschen Binnengrenzen finden bereits seit Freitag vorübergehende Kontrollen statt, um vor allem Gewalttäter und polizeibekannte Hooligans abzufangen.
Koordiniert wird der Einsatz aus dem eigens dafür eingerichteten International Police Cooperation Center (IPCC) in Neuss. Dort sorgen 600 Polizistinnen und Polizisten aus Bund, Ländern und dem Ausland dafür, dass die Fäden zusammenlaufen und ein gemeinsames Lagebild entsteht. 300 vor Ort, 300 mobil im Einsatz.
Vor Ort sind viele digitale Werkzeuge im Einsatz. In Leipzig sei anlässlich der EM extra eine „Drohnenabwehreinheit“ aufgebaut worden. Auch die Berliner und Münchner Behörden teilten SZ Dossier mit, dass sie im Bereich Drohnenabwehr neue Produkte beschafft hätten. Entsprechende Systeme sind an allen Spielorten im Einsatz. Einen umfassenden Überblick über die digitalen Werkzeuge der Sicherheitsbehörden lesen Sie heute im Dossier Digitalwende.
De Vries findet, die Sicherheitsbehörden hätten zu wenig Instrumente. Es sei „irre“ und behindere die Arbeit der Sicherheitsbehörden erheblich, dass „moderne Technologien wie Gesichtserkennung nicht eingesetzt“ oder „IP-Adressen nicht zur Gefahrenabwehr oder zur Ermittlung von Terroristen gespeichert“ werden können. Gabriel Rinaldi