Was eine Wahl zur Wahl macht, ist in Deutschland eindeutig geregelt. Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim soll sie ablaufen – so sehen es die Gesetze vor. Förderlich für die ganze Sache wäre allerdings, wenn es dabei eine Auswahl gebe. Mehrere Kandidaten, zwischen denen man sich entscheiden kann.
Wenn am Sonntag die Kommunalwahlen in mehreren deutschen Bundesländern anstehen, könnte es diese Auswahl mancherorts nicht geben, weil schlicht genügend Bewerber fehlen. Das Landesamt für Statistik in Thüringen gab etwa vor der Kommunalwahl am 25. Mai bekannt, in 91 Ortsteilen und Ortschaften würden „leere Stimmzettel“ ausgeteilt. Dort fand sich niemand, der oder die Ortsbürgermeister werden wollte. In so einem Fall können die Wähler eigene Vorschläge auf ihren Zettel schreiben. Der Landeswahlleiter aus Rheinland-Pfalz teilte vergangene Woche mit, in seinem Bundesland gebe es in 523 Gemeinden – und damit in fast einem Viertel aller Kommunen – keine Kandidaturen für das Ortsbürgermeisteramt. Drohen also bald verwaiste Amtsstuben in deutschen Ratshäusern?
Wie groß das Problem genau ist, lässt sich schwer sagen, dafür fehlen Zahlen. Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, sagt mit Blick auf die Bewerberfülle bei den Kommunalwahlen: „Das Angebot könnte breiter und umfangreicher sein“, sagte Handschuh, leere Gemeinderatssäle müsse man nicht fürchten. In Brandenburg ist die Zahl der Bewerber für ein kommunales Mandat sogar gestiegen. Dennoch: Die Attraktivität, kommunale Ämter zu übernehmen, sinke.
Wer wissen will, woran das liegt, fragt am besten bei Peter Gauweiler nach. Im vergangenen Sommer brachte er es bundesweit in die Schlagzeilen, weil er als Bürgermeister der Gemeinde Freisbach in Rheinland-Pfalz mitsamt Gemeinderat hinschmiss und zurücktrat. Der Gemeinde mit ihren 1200 Einwohnern fehlte das Geld, der Haushalt war im Minus, die Kommunalaufsicht wollte ihn nicht genehmigen. Die Steuern zu erhöhen, lehnte der Gemeinderat ab, es hätte den Haushalt ohnehin nicht ausgeglichen, sagt Gauweiler im Rückblick.
In so einem Fall sind es die freiwilligen Aufgaben einer Kommune, die als Erstes eingespart werden. Das sind aber wiederum jene Bereiche, in denen Kommunalpolitiker selbst entscheiden, was sie tun und wie. Dorfverschönerung? Seniorennachmittag? „Geht nicht“, sagt Gauweiler. Alles, womit man ein bisschen die dörfliche Gemeinschaft entwickeln könnte, „war weg“. Wirklich etwas gestalten, konnten er und der Gemeinderat nicht mehr. Gauweiler hätte es ruhig haben können. „Ich hätte jede Woche vielleicht zwei Rechnungen angewiesen. Mehr nicht“, sagt er. Aber wenn man nichts entscheiden kann, wofür dann Politiker sein? Also ließ er es bleiben.
Gauweiler war einer von etwa 6500 ehrenamtlichen Bürgermeistern in Deutschland, auch sie stehen am Sonntag in einigen Bundesländern zur Wahl. Eine Forsa-Studie hat sich im Auftrag der Körber-Stiftung in diesem Jahr mit ihrer Situation befasst. Knapp 90 Prozent sagten, die Unterstützung durch Bund und Land sei weniger gut oder sogar schlecht. Fast zwei Drittel sagten das auch über die finanzielle Situation ihrer Gemeinde.
Sven Tetzlaff, der bei der Körber-Stiftung den Bereich Demokratie und Zusammenhalt leitet, sieht neben dem fehlendem Gestaltungsspielraum noch einen weiteren Punkt, der es den Ehrenamtlichen schwer machte. Der Aufwand, den sie betreiben, sei so hoch, dass viele von ihnen in ihrem Hauptberuf die Stundenzahl reduzierten. Das führt zu weniger Gehalt, weniger Rentenanspruch. Um das Amt attraktiver zu machen, bräuchte es also „eine bessere finanzielle Kompensation“, sagt Tetzlaff. In diesem Bereich könnten Bund und Land sehr viel tun, sagt er, „höhere Entschädigungen, verbesserte Rentenansprüche, Steuererleichterungen“ schlägt er vor.
Auch die Vereinbarkeit von Amt und Familie sei ein Thema: Sitzungen am Abend, Feste am Wochenende, „da muss man schon ein sehr robustes Zeitmanagement haben, um diesen Dingen nachkommen zu können – gerade als Familie“, sagt Tetzlaff. Man sehe daher auch, „dass viel zu wenige Frauen das Amt wahrnehmen können“.
Dazu kommt Gewalt. 40 Prozent der befragten Bürgermeister sagten laut der Forsa-Umfrage, dass sie oder Personen aus ihrem Umfeld schon einmal aufgrund ihrer Tätigkeit „beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen“ worden seien. Mehr als jeder Vierte, der Anfeindungen erlebt hat, habe daraufhin darüber nachgedacht, sich aus der Politik zurückzuziehen. Seit zehn Jahren gingen die Zahlen derer, die sich ehrenamtlich als Bürgermeister aufstellen lassen, zurück, sagt Tetzlaff. Peter Gauweiler ist einer von ihnen. Er ist jetzt Pensionär. Er genieße das Leben, sagt er. Tim Frehler