Der Krieg ist in den vergangenen Jahren näher gerückt, die Bundesregierung hat deswegen die „Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung“ überarbeitet. Es war dringend nötig, die letzte Version stammt von 1989. „Wir erleben derzeit eine verschärfte Bedrohungslage: Im Cyberraum, durch Drohnen über Bundeswehrliegenschaften, Desinformationskampagnen und klassische Sabotage“, sagte Verteidigungsministerium Boris Pistorius (SPD) im Anschluss an die Verabschiedung des Dokuments im Kabinett.
Marcus Faber, designierter Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, sagte SZ Dossier, es sei wichtig, dass das Land sich der „Bedeutung Deutschlands für die Nato bewusst wird, als logistische Drehscheibe in der Mitte Europas, aber auch als mögliches Angriffsziel“. Sie arbeiteten „jeden Tag daran, Frieden und Sicherheit auf der Welt zu schützen“, sagte Grünen-Vizefraktionschefin Agnieszka Brugger SZ Dossier, „aber wir bereiten uns auch auf die schlimmsten Szenarien vor, um uns als Gesellschaft zu schützen, und die Risiken dafür zu verkleinern.“
Es ist nicht nur das Militär, das Kriegstüchtigkeit lernen muss, auch die Gesellschaft. Die Kollegen Markus Balser, Georg Ismar und Georg Mascolo schreiben, es sei ein „bedrückender Leitfaden“ entstanden. In nüchterner Amtssprache beschreibt er, wer im Kriegsfall welche Aufgabe übernehmen würde, vom Bundespräsidenten über die Bundeswehr und zivile Behörden und Verwaltungen. Die „strategische Kultur“ in Deutschland müsse weiterentwickelt werden, es brauche „ein in der Breite unserer Gesellschaft verankertes Verständnis von Integrierter Sicherheit“, heißt es in dem Papier. „Die Gesellschaft kann und sollte resilienter und krisenbewusster werden“, sagte Brugger.
Beispiel Selbstschutz: Die Gemeinden seien verantwortlich für den Selbstschutz der Bevölkerung. „Sie haben insbesondere die Zivilbevölkerung über den Selbstschutz zu unterrichten, im Selbstschutz auszubilden“, heißt es. „Das Bewusstsein bei Kommunen, Bürgermeistern und Verwaltung muss wachsen, dass sie Ziel von Angriffen sein können“, sagte Faber. Es sei deswegen richtig, dass die Landeskommandos der Bundeswehr „gezielt auf Kommunen zugehen“, sagte er. In anderen Ländern gebe es zum Beispiel Schulungen, um sich als Privatperson auf den Kriegsfall vorzubereiten.
Das Dokument hält Tipps für Bombenangriffe bereit. Einen „Grundschutz vor Kriegswaffeneinwirkungen bietet die flächendeckend vorhandene solide Bausubstanz“, heißt es. Privat könnten „Kellerräume in Massivbauweise gute Deckungsmöglichkeiten bieten“, genau wie Tiefgaragen oder U-Bahn-Stationen.
Beschrieben ist auch, wie die Bundesregierung auf mögliche Nahrungsmittelengpässe reagiert. Der Staat könne in dem Fall regulierend in die Lebensmittelkette eingreifen, also bei Supermärkten beschlagnahmen. Zudem seien „gewisse Mengen an Agrarrohstoffen“ über „das gesamte Bundesgebiet“ dezentral verteilt. Darunter falle die Bundesreserve Getreide, die „der Sicherstellung der Mehl- und Brotversorgung“ diene, zudem gebe es die „zivile Notfallreserve des Bundes“, die die Bevölkerung vor allem in Städten einmal am Tag mit einer „warmen Mahlzeit“ versorgen könne. Wenn Menschen aufgrund von „Kriegseinwirkungen wohnungslos“ geworden seien, müssten sie versorgt werden.
Auf neue Gefahren wie im Cyberraum geht das Dokument ebenfalls ein. Es brauche ein „ganzheitliches Cyberlagebild, das alle maßgeblichen Akteure einbindet“, und „kontinuierlich zu erstellen“ sei. Aggressive Cyberaktivitäten müssten „frühzeitig erkannt und laufende Angriffe rasch abgewehrt werden können“. Zuletzt wurde die CDU angegriffen, der Spiegel berichtet, Hacker hätten sich beim Cyberangriff mindestens 14 Tage unerkannt in der Netzinfrastruktur der Partei aufgehalten.
„Die Angriffe finden schon statt“, sagte Brugger. Im Netz, aber auch im russischen Fernsehen. „Ständig werden die Länder des Baltikums und Polen verbal bedroht. Spionage, Desinformation und hybride Maßnahmen sind längst Realität“, sagte sie, „es ist extrem wichtig, dass wir in einer Krise handlungsfähig sind und nicht völlig unvorbereitet“.