Die katholische Kirche hat zum Katholikentag nach Erfurt geladen, „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ ist das Leitwort. Es soll eine Hoffnungsperspektive sein. Doch welche Zukunft erwartet die Kirche? Erfurt bietet – sollte sich am gesellschaftlichen Gefüge nicht radikal etwas ändern – vielleicht eine passende Perspektive. Nur 7,6 Prozent der Menschen in Thüringen gehören der katholischen Kirche an. Die Mitgliederzahlen sinken bundesweit, laut dem Datenportal Statista treten die meisten Menschen wegen der Kirchensteuer oder der Missbrauchsskandale aus. Weniger Mitglieder bedeuten weniger Geld. Das dürfte schon in naher Zukunft zum Problem werden. Und dann gibt es noch ein anderes: die Staatsleistungen.
Kurze Begriffserklärung: Die Staatsleistungen, das ist Geld, das 14 Bundesländer jährlich aus allgemeinen Steuereinnahmen an die Kirchen überweisen, als Entschädigung für die Säkularisierung im Jahr 1803, als der Staat der Kirche viel Vermögen nahm. Diese Staatsleistungen sind ein Provisorium, das nie abgeschafft wurde, denn obwohl im Grundgesetz steht, dass die Staatsleistungen durch „Landesgesetzgebung“ abgelöst wurden, ist seitdem nichts passiert. Rund 618,4 Millionen Euro werden die Länder dieses Jahr deswegen an die Kirchen überweisen. Verglichen mit den Einnahmen aus der Kirchensteuer ist das wenig, rund 13,06 Milliarden Euro zahlten die Kirchenmitglieder laut Statista 2022.
Konstantin von Notz, religionspolitischer Sprecher der Grünen und Vize-Fraktionsvorsitzender, sagt, es sei „ schlicht problematisch, wenn seit 75 Jahren in der Verfassung steht, diese Leistungen gehörten abgelöst und nichts passiert“. Die Ampelkoalition will die Staatsleistungen reformieren und sie durch eine einmalige Zahlung ablösen. Laut von Notz aber nicht, um den Kirchen zu schaden. Im Gegenteil.
„Das gesellschaftliche Klima wandelt sich, teilweise zuungunsten der Kirche. Wenn einzelne Länder einfach entscheiden würden, nicht mehr zu zahlen, dann müssten die Kirchen für das Geld klagen. Ob sie vor Gericht Recht bekämen, weiß man nicht“, sagt von Notz. Dazu kommt der Eindruck: Die Kirche klagt auf Geld, das ihr zwar zusteht, sich aber einer Mehrheit der Bevölkerung kaum mehr erschließt. Warum muss der Steuerzahler die Kirchen für etwas entschädigen, das mehr als 220 Jahre her ist? Das ist für viele nicht nachvollziehbar – trotz des gesellschaftlichen Engagements der Kirchen, der Kitas, Krankenhäuser und karitativen Einrichtungen, die sie betreiben.
Als vor wenigen Wochen Markus Söder (CSU) beim Papst war und ihm nach eigenen Angaben sagte, das Thema sei „vom Tisch“, das sei unter den Bundesländern „so intoniert“, war das aus Ampel-Sicht nicht die Aufmerksamkeit, als die Söder die Ankündigung verkaufen wollte. „Das zur Schau getragene Verhalten Söders ist ein vergiftetes Geschenk für die Kirchen, ignoriert den Verfassungsauftrag und ist bestenfalls Symbolik“, sagt von Notz. „Jetzt wäre Zeit für eine faire Ablösung, die den Ländern und den Kirchen Spielraum gibt, gute Regelungen auszuhandeln“, sagt er. „Alle wissen, die Spielräume in den Landeshaushalten sind eng. Die Frage nach der Nicht-Fortzahlung beziehungsweise einer Reduzierung der Gelder kann jederzeit auch in Bayern kommen.“
Es wäre folglich im Interesse der Kirchen, eine Ablösung jetzt zu beschließen. Laut Berechnungen in einem Gesetzentwurf aus Oppositionszeiten von FDP, Grünen und Linken müsste die einmalige Ablösesumme das 18,6-Fache der jährlichen Zahlung betragen. Rund elf Milliarden Euro also, die die Länder flexibel abbezahlen könnten, auch in Raten.
Übrigens: Nicht nur der Staat ist für die Ablösung von Staatsleistungen. Martin Grichting, Schweizer Kirchenrechtler und Priester, schrieb in einem Gastbeitrag für die Welt, die Kirche erniedrige sich durch die Staatszahlungen „zu einer Vorfeldorganisation der herrschenden politischen Kräfte“. Sie verweltliche sich „mit dem Ziel, ihre finanziellen Privilegien zu erhalten“.
Die Ampel hat in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, sie wolle das Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen „im Dialog mit den Ländern und den Kirchen“ schaffen. Das muss sie aber nicht. Das Innenministerium teilt mit, eine Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kirchen habe bis Januar 2023 getagt. „Die zentralen Fragen der Ablösung, unter anderem die Frage der Höhe des Ablösebetrags, werden weiterhin auf politischer Ebene erörtert“, sagt ein Sprecher SZ Dossier.