Es ist die große Frage unserer Zeit: Wie ordnet man Fluchtmigration? SPD-Innenministerin Nancy Faeser schaut, eher ungewöhnlich in Zeiten der rechtspopulistischen italienischen Regierung, „mit Spannung“ darauf, wie Rom plane, künftig Asylverfahren in Albanien durchzuführen. Es sei schließlich etwas anderes als das Ruanda-Modell. „Das ist ein interessantes Modell, über das ich mich mit meinem italienischen Amtskollegen austausche“, sagte Faeser.
Das sehen Migrationsforscher anders. „Ob dieses italienische Modell vor Gericht Bestand haben wird, daran besteht großer Zweifel“, sagte der Migrationsforscher Franck Düvell von der Universität Osnabrück bei der Vorstellung des Berichts „Report Globale Flucht 2024“ in Berlin. Doch die Frage, ob Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden können, steht sogar im Koalitionsvertrag. Das solle geprüft werden, heißt es dort.
Könnte Deutschland also möglicherweise von Italien lernen? „Dieses italienisch-albanische Modell ist relativ neu. Wir wissen eigentlich nur, dass die Lager in Bau sind, die sind auch noch nicht fertig, es funktioniert noch nicht“, sagte Düvell. Die Lager seien bislang auch nicht vor italienischen Gerichten geprüft worden, die bei anderen flüchtlingspolitischen Fragen „relativ verlässlich auf dem Grund und Boden der europäischen Grundrechte“ gehandelt hätten.
Doch anders als Ruanda ist Albanien ein europäisches Land mit EU-Mitgliedschaftsambitionen. „Wir wissen nicht, aber es wird vermutet, dass Italien Albanien auch etwas versprochen hat für die Bereitschaft, in Migrationsfragen zu kooperieren“, sagte Düvell. Albanien könnte also Unterstützung aus Rom für seine EU-Ambitionen bekommen, während Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni damit Wahlkampf macht, das Asylproblem, wenn schon nicht gelöst, dann immerhin verlagert zu haben.
Zu Ende gedacht sei das nicht, sagte Düvell, denn das Problem sei danach natürlich nicht aus der Welt. Damit verbunden sind viele Fragen: Wo sollen Widerspruchsverfahren stattfinden? Wie verträgt sich das mit dem albanischen Souveränitätsprinzip? Und der Elefant im Raum: Wer soll die abgelehnten Personen zurückführen?
Die Migrationsforschung spricht hier von sogenannten Externalisierungspolitiken. Wie es in dem Report heißt, sei das kein neues Phänomen, sondern in Dänemark schon in den 1980er-Jahren diskutiert und später in Ländern wie Australien und Israel auch durchgeführt worden. Dabei sei es aber zu menschenrechtlichen Problemen gekommen – entsprechende Zentren seien wieder geschlossen und von Gerichten für illegal befunden worden.
Als Israel zwischen 2014 und 2017 eine Vereinbarung mit Ruanda hatte, Geflüchtete dorthin abzuschieben, seien viele von ihnen über Schlepper in Libyen und schließlich in Europa gelandet, heißt es im Report. Der Fall liefere Hinweise darauf, dass die Behauptung falsch sei, die Externalisierung untergrabe das Geschäftsmodell von Schleppern.
Ist eine Drittstaatenlösung für Deutschland also überhaupt zielführend? Laut den Migrationsforschern gibt es dabei eine rote Linie, nämlich das Prinzip des Non-Refoulement nach der Genfer Flüchtlingskonvention, das besagt, dass Asylsuchende nicht in Länder zurückgeschickt werden dürfen, in denen ihnen Gefahr droht. Deutschland habe die Pflicht, schutzbedürftigen Menschen Schutz zu gewähren, anstatt ihre Asylverfahren in andere Staaten auszulagern, wo sie möglicherweise Gefahr laufen, zurückgewiesen zu werden.
Die Bundesregierung prüft derzeit, ob Asylverfahren in Drittstaaten rechtlich möglich wären, am 20. Juni will sie bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin erste Ergebnisse vorstellen. Gabriel Rinaldi