Es war im April vergangenen Jahres, als Florian Liening-Ewert die Schweinekopfhälften fand. Abgetrennt lagen sie vor seiner Haustür. Sein Sohn war gerade auf dem Weg in die Schule, sagt Liening-Ewert. Der damals achtjährige Junge hat sie also als erster gesehen. Das sei eigentlich das Schlimmste: Er selbst sei als Bürgermeister ja eine Person des öffentlichen Lebens, „natürlich kann man von mir erwarten, dass ich ein bisschen etwas aushalte“. Aber was hat die Familie damit zu tun?
Liening-Ewert ist CSU-Bürgermeister in Hendungen, einer kleinen Gemeinde in Unterfranken. Auch sein Stellvertreter wurde mit einem Schweinekopf bedacht, aufgespießt auf dem Gartenzaun. Wer dahintersteckte? Bis heute ist das unklar, auch warum die Schweineköpfe vor den Häusern der beiden Kommunalpolitiker platziert wurden, weiß Liening-Ewert nicht. Fest steht aber: „Das macht etwas mit einem – psychisch“, sagt der 40-Jährige. In der Zeit nach dem Vorfall habe er sich ständig umgeschaut, wenn er etwa abends von den Gemeinderatssitzungen nach Hause gelaufen ist.
Seit den Angriffen auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden und die Grünen-Politiker Kai Gehring und Rolf Fliß in Essen stellt sich folgende Frage mit neuer Vehemenz: Wie können Politikerinnen und Politiker bei ihrer Arbeit geschützt werden? In neun Bundesländern sind dieses Jahr Kommunalwahlen, dazu drei Landtagswahlen, die Europawahl. Soll die Polizei jedes Mal Streife fahren, wenn Wahlkampfhelfer Plakate aufhängen?
Es ist ein Dilemma, hauptsächlich bei Kommunalpolitikern: Hendungen, Liening-Ewerts Gemeinde, zählt keine 1000 Einwohner. Hier kennt man sich, weiß, wo der Bürgermeister wohnt. Diese Nähe ist das, was Kommunalpolitik ausmacht. Wenn er jetzt ständig Personenschützer dabeihätte, „das funktioniert ja nicht“, sagt Liening-Ewert.
Diese Nähe kann aber auch zum Problem werden. Dorothea Schneider weiß das. Schneider engagiert sich gegen Rechtsextremismus, ist Vorsitzende des Vereins „Augen auf – Zivilcourage zeigen“ im sächsischen Zittau. Seit Fremde sie fotografierten, als sie mit ihren Kindern im Garten war und die Bilder anschließend mit Adresse veröffentlichten, wird ihr Haus von Videokameras überwacht. Die Angriffe vom vergangenen Wochenende haben Schneider daher nicht überrascht: „Es ist jetzt nicht so, dass man nicht absehen konnte, dass es so weit kommt“, sagt sie.
Seit den Correctiv-Recherchen über das Treffen von AfD-Politikern mit Rechtsextremisten in Potsdam organisiert Schneider regelmäßig Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in Zittau, zuletzt wieder am Montagabend. Die Polizei sei dieses Mal sensibler gewesen, berichtet Schneider. Doch trotz der Anwesenheit der Beamten seien etwa 20 Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum bei ihrer Veranstaltung aufmarschiert. Schneider schätzt, sie seien zwischen 14 und 24 Jahre alt gewesen.
Die Polizei habe die Gruppen stärker im Blick gehabt, aber es sei ihnen dennoch gelungen, Demoteilnehmer zu fotografieren, sagt Schneider. Nicht immer fühlt sie sich von den Beamten ernst genommen – vor allem mit Blick auf die Präsenz der rechten Gruppen am Rand ihrer Demos. „Wenn ich zur Polizei gehe und sage, dass die hier nicht stehen können, lacht mich der Einsatzleiter teilweise aus.“ Es seien doch nur Kinder, bekomme sie dann zu hören. „20 Minuten später braucht die Polizei vier Beamte, um eins von den Kindern zu bändigen, weil es die Polizei angegriffen hat.“
Nicht das einzige Problem: Schneider organisiert auch Veranstaltungen zur politischen Bildung. Ende Mai wieder eine, bei der es um die rechtsextremen Freien Sachsen gehen soll. Die Referenten, die dort sprechen sollen, fordern, dass Sicherheitspersonal vor Ort ist. Doch dafür fehle oft das Geld, sagt Schneider.
Aber was hilft? In Sachsen will die Landesregierung einen Gesetzentwurf im Bundesrat auf den Weg bringen, der bei Florian Liening-Ewert, dem Bürgermeister aus Hendungen, gut ankommt. Ziel ist es, einen neuen Straftatbestand zu schaffen, der bestimmte Bedrohungen von Ehrenamtlern sowie Amts- und Mandatsträgern umfasst.
Im Kern geht es dabei um sogenanntes politisches Stalking, bei dem Politiker durch bedrohliche Übergriffe eingeschüchtert werden sollen. Fälle, die bislang straflos geblieben seien, „sollen damit durch das Strafrecht besser erfasst werden“, teilte das sächsische Justizministerium gestern mit. Also Fälle, wie jener von Florian Liening-Ewert. Genau richtig, findet der das Vorgehen daher. In seinem Fall seien die Ermittlungen schließlich in Richtung Beleidigung gegangen, was ja „recht schwammig“ sei. Und richtig zugetroffen habe es auch nicht. Tim Frehler