„Ein Symbol der Wachstumsschwäche“ sei die Friedrichstraße gewesen. Ausgerechnet! Die Friedrichstraße! Christian Lindner, FDP-Chef und Bundesfinanzminister, habe beim Internationalen Währungsfonds, wo das Bild gezeigt worden sei, großzügig darüber hinweggelächelt. Doch das, habe er sich geschworen, werde nicht noch einmal passieren.
Am Wochenende war FDP-Parteitag, die Freidemokraten haben sich ihrer selbst vergewissert und die Forderung nach einer „Wirtschaftswende“ mit Inhalten und Wortspielen unterfüttert: „Wachstun“ stand auf einem Banner hinter der Bühne. Lindner forderte „nüchternen Realismus“.
Die 662 Delegierten stimmten mit großer Mehrheit für den Leitantrag. Die Essenz: FDP pur, weniger Bürokratie, weniger Vorgaben, weniger Soziales. Endlich wieder Wirtschaft, sagten die einen. Hätte so schon im Koalitionsvertrag stehen müssen, sagten die anderen.
Drei Punkte, für die die FDP in den kommenden Monaten zu kämpfen vorhat, samt Koalitionsbruch-Gefahrenfaktor. Lindner waren folgende Bereiche besonders wichtig: Energiepreise, Sozialstaatskosten und die Mentalität der Deutschen bezüglich ihrer Arbeit. Auf dem Parteitag geben sich die Liberalen kritisch gegenüber der Union und überraschend ampelfreundlich, aber zwischen Fordern und Durchsetzen steht der Koalitionsausschuss.
Wir bewerten, welche Themen noch zum Risiko für die Koalition werden können.
Das FDP-Leitbild für den Klimaschutz? „Nicht Verbot, nicht Verzicht, sondern Technologie“, sagte Lindner. Mit dem CO₂-Handel gebe es in Europa ein besseres Instrument als Subventionen, wie etwa in den Vereinigten Staaten. „Wir können doch nicht wissen, welche Technologie, welche Branche, welches Unternehmen bahnbrechenden Erfolg haben wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten“, sagte er.
Einen konkreten Punkt machte Lindner auch: Erneuerbare Energien, sagte er, seien mittlerweile wettbewerbsfähig. „Jedes Jahr wenden wir Milliarden Euro auf an Subventionen für Erneuerbare Energie, insbesondere Solar und Wind“, sagte er. Diese Subventionen brauche es nicht mehr.
Lambsdorff-Faktor: 4 von 5
Die Kosten für den Sozialstaat sollen runter. Das Bürgergeld sei kein bedingungsloses Grundeinkommen, von Beziehern sei eine Gegenleistung zu erwarten. Man setze vor allem auf Anreize, will aber ein dreijähriges Moratorium für den Sozialstaat. Ja, sagte Lindner, ein sorgenfreier Ruhestand sei wichtig, das Rentensystem bedeutsam. Man müsse es aber auch im Interesse der jungen Generation reformieren. „Deshalb, egal ob bei Bürgergeld oder Rente, sollten wir nicht mehr bezahlen, wenn Menschen nicht arbeiten, sondern wir sollten belohnen, wenn Menschen im Arbeitsleben verbleiben wollen.“
Während der Beratungen brachten die Juli-Vorsitzende Franziska Brandmann und der Abgeordnete Johannes Vogel einen Änderungsantrag ein, kritisierten das Rentenpaket II und SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil. Der Parteitag beschloss die Forderung nach einer Abschaffung der Rente mit 63 und nach einer Ausweitung der Aktienrente. Auf Initiative Vogels wurde der Leitantrag um den Hinweis erweitert, die FDP werde dem Rentenpaket II nur zustimmen, wenn weitere rentenpolitische Maßnahmen beschlossen würden.
Lambsdorff-Faktor: 3 von 5
Drittens forderte Lindner eine Mentalitätswende. Abzulesen wäre die, so umfassend sie gedacht und gemeint ist, am Bundeshaushalt 2025, der nächsten Gelegenheit für die Ampel festzustellen, ob sie noch gemeinsam bis zur regulären Bundestagswahl regieren will.
„Arbeit ist ja nicht nur eine lästige Quelle von Einkommen“, sagte Lindner. Arbeit sorge für Teilhabe, vermittle Sinn, strukturiere den Tag. „Sozial ist nicht, dafür zu sorgen, dass Menschen sich Arbeitslosigkeit leisten können.“ Deshalb will die FDP steuerfreie Überstunden, um einen Anreiz für Mehrarbeit zu geben. Unternehmenssteuern sollen gesenkt werden, der Solidaritätszuschlag abgeschafft. Heißt: weniger Steuereinnahmen. Vor allem die Soli-Abschaffung ist für die SPD eine rote Linie.
Gleichzeitig wollen die Liberalen mehr auf den privaten Kapitalmarkt setzen. Für die Altersvorsorge, aber auch für Infrastrukturprojekte. „Wenn man spitzenmäßige Standards für den Lebensstandard, die soziale Absicherung und die Ökologie haben will, dann muss man auf der anderen Seite aber auch bereit sein, wieder spitzenmäßige Leistung zu zeigen“, fand Lindner.
Lambsdorff-Faktor: 3 von 5
Zwischen Kanzleramt sowie Wirtschafts- und Finanzministerium laufen Gespräche. Für die FDP entscheidend werden wohl Flexibilisierung der Arbeitszeit, möglicherweise des Renteneintritts, zudem eine Abschaffung von Subventionen im Energiesektor. Und der Zeitplan? Vor der Europawahl kommt die Wirtschaftswende wohl nicht. Möglicherweise würde die Reform gemeinsam mit dem Haushalt 2025 verhandelt.
Trotz der Differenzen und der Milliardenlücke, die weiter im Haushalt klafft, wirkten FDP-Spitzenleute an diesem Wochenende nicht, als würden sie ein Ende der Koalition herbeisehnen. Die Basis stimmte nicht einmal einem Antrag zur Atomkraft-Wiederbelebung zu, so sehr freute sie sich über die Wirtschaftswende – vielleicht hilft es schon, von ihr nur zu sprechen, um die FDP zu befrieden. Gabriel Rinaldi