Friedrich Merz hat ein politisches Manöver gestartet, das den Wahlkampf verändert. Der Unions-Kanzlerkandidat signalisierte der AfD zunächst, sie könne bei zwei Anträgen zur Asyl- und Migrationspolitik mitstimmen: Wer zustimmen wolle, solle zustimmen, er gucke „nicht rechts und nicht links“, sondern „nur geradeaus“. SPD und Grüne gingen postwendend auf die Barrikaden, sahen die Brandmauer bröckeln. Es gab deutschlandweit große Demonstrationen gegen den Rechtsruck, die ein neues Hauptthema hatten. Dann wurden die Anträge öffentlich: Mehrere Passagen machen eine AfD-Zustimmung so gut wie unmöglich, auch die AfD reagierte empört.
Politische Fata Morgana: Die Unionsfraktion hatte die zwei Anträge zur Verständigung an die ehemaligen Ampel-Parteien geschickt, nicht aber an die AfD. Die hatte nach Merz‘ Aussagen schon das Ende der Brandmauer gewittert und einen „Deal“ vorgeschlagen. In einem der Anträge, die SZ Dossier vorliegen, hieß es dann aber, wie Gabriel Rinaldi berichtet: „Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.“ Deshalb sei sie kein Partner, sondern „unser politischer Gegner“.
Rechenspiele: So oder so ist Merz auf Stimmen von SPD, FDP und Grünen angewiesen. Zumindest die FDP und auch das BSW haben bereits eine Zustimmung signalisiert, rein rechnerisch wäre also eine Mehrheit mit der AfD möglich. Darauf angesprochen sagte Merz bei Berlin direkt im ZDF, die Union habe mit der AfD im Bundestag keine Mehrheit. Aber: Er lasse sich von dem, was die Union für richtig halte, nicht mehr abbringen, nur weil die Falschen es auch für richtig halten. Es gebe keine Gespräche, es gebe keine Verhandlungen, es werde keine gemeinsame Regierung geben. „Mein Wort steht“, sagte Merz. Die Anträge richteten sich an die früheren Ampel-Fraktionen.
SPD und Grüne haben inhaltliche Bedenken. Sie sehen einen Verstoß gegen europäisches Recht und gegen das Grundgesetz. Der „Fünf-Punkte-Plan“ von Merz sieht etwa direkte Zurückweisungen an den Grenzen vor, dauerhafte Grenzkontrollen und Abschiebehaftzentren. Niemand ohne gültige Papiere soll einreisen dürfen, das individuelle Grundrecht auf Asyl würde de facto ausgehebelt. Nach geltender Rechtslage müssen aber Migranten, die Asyl begehren, ins Land gelassen und ihr Antrag geprüft werden. Die zwei Anträge sind keine Gesetzesentwürfe, die Union will aber auch einen solchen einbringen (hier gibt es mehr zu den Forderungen).
Heißt konkret: Die Fraktionsspitze teilte den Unionsabgeordneten am späten Sonntagabend per Mail mit, dass ein Gesetzesentwurf zur Änderung des Asyl- sowie des Aufenthaltsgesetzes erarbeitet werde. Die Mail liegt SZ Dossier vor. In Paragraf 18, Absatz 2 des Asylgesetzes sollen demnach nach dem Wort „Einreise“ die Wörter „durch Zurückweisung an der Grenze“ eingefügt werden. Derzeit steht im Gesetz: „Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn“. In Paragraf 1, Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes sollen nach dem Wort „Steuerung“ die Wörter „und Begrenzung“ eingefügt werden. Der vollständige Satz lautet: „Das Gesetz dient der Steuerung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland.“ Beide Forderungen, hieß es weiter, seien bereits Beschlusslage der Fraktion.
Offen bleibt, was im Bundestag passiert. Merz äußerte bei Berlin direkt seine Präferenz: Es müssten jetzt Entscheidungen getroffen werden, „am besten mit SPD, Grünen und FDP“, sagte er. Und was, wenn die AfD trotzdem zustimmt, trotz der Entrüstung über die Passage im Antrag? Auch für diese Frage hatte Merz eine Antwort vorbereitet. „Soll ich mich davon abhängig machen, ob die AfD zustimmt, was wir für richtig halten? Das hätten die Sozialdemokraten und die Grünen gerne, die mit ihrer Politik schon längst in Deutschland die Mehrheit verloren haben“, sagte er. Er mache sich davon nicht abhängig.