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Europa rauft sich zusammen

Montag, 17. Februar 2025

Guten Morgen. Das Wochenende bot Gelegenheit für die Bundespolitik, ihrem Ärger über den amerikanischen Vizepräsidenten Luft zu machen. J.D. Vances Ausführungen in München dazu, was Donald Trump Meinungsfreiheit nennt – ein unreguliertes Internet – und was Demokratie, blieben nicht unerwidert.


Wobei Stilfragen – Wahlwerbung für die AfD etwa „gehört sich nicht“, befand der Bundeskanzler – womöglich nicht den Kern der Sache ausmachen. „Jetzt geht es nicht mehr ‚nur‘ um Verteidigung. Jetzt geht es um unser Grundverständnis von Demokratie und offener Gesellschaft“, schrieb Friedrich Merz gestern in seiner Rundmail.


Entscheidender als Reaktionen auf eine zornige Rede ist für die Sicherheit und Ordnung der Welt, ob Europa und auch Deutschland sich nun rasch zu harten Entscheidungen und unbequemen Priorisierungen durchringen können. Womöglich wäre das ja ein Thema, das Parteien auch Wählerinnen und Wählern in den kommenden Tagen einmal zumuten könnten.


Wir schauen, zurück aus München, in die neue Woche. Willkommen am Platz der Republik.

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Was wichtig wird

1.

Keir Starmer macht den Anfang: Er sei „bereit und willens“, britische Truppen in der Ukraine einzusetzen, um ein Friedensabkommen durchzusetzen, schrieb der britische Premierminister in einem am Abend veröffentlichten Beitrag für den Telegraph. Er setzt damit Ton und Erwartung für die kommenden Tage. Der Bundeskanzler bestritt etwa zur selben Zeit, dass die Frage sich überhaupt stelle.


Der Druck auf Europa ist groß wie selten. Präsident Emmanuel Macron bittet europäische Regierungschefs für heute zu einem Krisentreffen nach Paris. Die „wichtigsten europäischen Länder“ kämen zusammen, um sicherheitspolitische Fragen zu besprechen, sagte Außenminister Jean-Noël Barrot. Italien, Spanien, Polen, Großbritannien, die Niederlande und Dänemark haben zugesagt. Auch Olaf Scholz bestätigte im RTL-Quadrell am Abend seine Teilnahme.


Das Zeitfenster, um Einfluss zu nehmen, ist kurz. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, sitzt in Paris auch am Tisch und trifft heute zudem Keith Kellogg, den US-Sondergesandten für die Ukraine und Russland. Noch in München telefonierte US-Außenminister Marco Rubio mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Schon in wenigen Tagen treffen sich Vertreter der USA und Russlands in Saudi-Arabien. Vorab hat die US-Seite den Europäern Fragebögen geschickt, mit der Bitte aufzulisten, was jeder Staat zur Sicherung eines Friedens beitragen kann.


Das ist eine herausfordernde Frage. Es ist nicht klar, was genau zu sichern sein wird. Gleichzeitig ist skin in the game einer der wenigen Wege, die Gespräche mitzugestalten. Nato-Generalsekretär Mark Rutte empfahl den Europäern auf den Fluren im Bayerischen Hof: Erkämpft Euch den Weg an den Verhandlungstisch, wenn über die Ukraine gesprochen wird und damit über Europas Sicherheit. Auch er wird beim Notgipfel in Paris dabei sein.

2.

In München wird eine weitere Eigenheit der neuen US-Führung sichtbar: Sie ist nicht gut sortiert. Das ist ein Problem. Kellogg wurde in München von den Europäern zu Trumps Plänen gelöchert, hat mein Kollege Michael Radunski beobachtet, der auch im Bayerischen Hof unterwegs war. Mittags erklärte Kellogg, Europa werde auf keinen Fall mit am Verhandlungstisch sitzen. Abends ruderte er zurück und antwortete: Definieren Sie Tisch.


Womöglich ungefestigt: In Fragen von Krieg und Frieden ist Unberechenbarkeit gefährlich – und passt doch zum US-Präsidenten. Kellogg berichtete: Der Präsident verteile heute Aufgaben und frage am nächsten Tag, warum sie noch nicht erledigt seien. Tempo schlägt Gründlichkeit.


Teile und herrsche: So entstand in München der Eindruck, als stünden die einzelnen Akteure in einem Wettstreit um die Gunst des Chefs. Hier punktet gerade Steve Wittkoff, Sonderbeauftragter für den Nahen Osten. Wittkoff hatte zuletzt Trumps Ohr – und ist beim nächsten wichtigen Treffen dabei, wenn es in Riad um die Zukunft der Ukraine gehen soll, an Kelloggs Stelle.


Albtraum: Die Sicherheitskonferenz „war schon in gewissem Sinne ein europäischer Albtraum, aber gleichzeitig war das auch eine sehr klärende Konferenz“, sagte der scheidende Leiter der Konferenz, Christoph Heusgen, gestern Abend dem ZDF Heute Journal. Sie habe gezeigt, dass „dieses Amerika unter Trump auf einem anderen Stern lebt“, sagte er. „Uns ist auch aufgefallen, dass selbst republikanische Senatoren sehr vorsichtig sind, sich öffentlich zu äußern, weil sie Angst vor ihrem Präsidenten haben.“

3.

Das Vierer-Format bei RTL hat viel über Alice Weidel verraten. Sie suchte keine Distanz zum Fliegenschiss und keine zu Björn Höcke; es täte ihrer Karriere sicher auch nicht gut. Keine zu Russland, es galt für sie, keine Stimme zu verschenken. Auch keine zu Trumps Regierung: Wer will schon noch den alten Antiamerikanismus der Partei pflegen, wenn dort ein großer Fan am Ruder ist?


Schön war's nicht, aber lehrreich: Gleichzeitig bot ihre Teilnahme den anderen gute Gelegenheiten – Merz zum Beispiel zur deutlichen Abgrenzung in Sachen Ukraine und in der Wirtschaftspolitik. Wer ihm jetzt nicht abnimmt, dass Union und AfD nicht im selben Lager sind, der heißt Scholz oder ist ein Fühli-Grüner.


Robert Habeck ist keiner, wie er in der Runde zu erkennen gab. Scholz wiederum nutzte die Gelegenheit, recht befreit um sein Pult herumzutänzeln und ein paarmal kräftige Treffer gegen Weidel zu landen. (Die Kollegen der SZ, das zur Kenntnis, haben Scholz inzwischen lesenswert abgeschrieben.)


Noch nicht genug? Heute Abend stellen sich Scholz, Merz, Weidel und Habeck in der ARD Bürgerfragen. Am Mittwoch die Rückrunde im Kanzlerduell zwischen Merz und Scholz, bei Welt TV. Donnerstag bei ARD und ZDF: eine Spitzenkandidaten-Runde mit allen im Bundestag vertretenen Parteien. Die SPD beschließt ihren Wahlkampf am Freitag in NRW, die Union den ihren am Samstag in München.


Endspurt, wo er wirklich zählt: Aufregender als oben ist der Wahlkampf allerdings gerade bei den Bewerbern um die Fünfprozenthürde herum.

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Tiefgang

Valdis Dombrovskis ist der Mann, der den Vorschlag seiner Chefin umsetzen muss: Kommissionspräsidentin von der Leyen hat Flexibilität angekündigt, was Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten angeht. „Wir schauen uns an, welche Lösungen es gibt“, sagte er im Interview am Wochenende in München.


Dombrovskis, der EU-Wirtschafts- und Währungskommissar, muss nun aus der Idee, Verteidigungsausgaben von den EU-Schuldengrenzen auszunehmen, Politik machen. „Wir werden in Kürze mit konkreten Vorschlägen aufwarten, wie wir das angehen wollen“, sagte er. Entschieden gehört ja einiges: Soll es eine generelle – für alle EU-Länder gleiche – Ausnahme von den europäischen Defizit- und Schuldenregeln geben oder individuelle? Wie groß soll der Spielraum sein?


„Ich kann zu diesem Zeitpunkt nicht im Detail sagen, wie groß und wie genau, es gibt mehrere Möglichkeiten. Wir bewerten diese Möglichkeiten und arbeiten daran“, sagte Dombrovskis, als EVP-Politiker ein Freund der stabilen Haushaltsführung und als Lette ein Mahner für mehr und deutliche Unterstützung der Ukraine.


Allein aus dieser Spannung ergibt sich: Die Ausnahmen, so sehr sie aus Frankreich mit Dringlichkeit gefordert und vom Bundeskanzler im Nachgang begrüßt wurden, werden vielleicht nicht reichen, um die Unterstützung des angegriffenen Landes sicherzustellen.


„Wir haben sicherlich ein Gefühl der Dringlichkeit. Wir befinden uns seit drei Jahren im Krieg, Russland ist zur Kriegswirtschaft übergegangen“, sagte Dombrovskis. „Es steigert seine Militärproduktion und spricht offen über die Invasion anderer Länder. Wenn sich Russland also in der Ukraine halbwegs erfolgreich fühlt, wird es weitermarschieren. Man sollte das also sehr ernst nehmen und sich ernsthaft darauf vorbereiten.“


„Der Finanzierungsbedarf der Ukraine für dieses Jahr ist gedeckt“, sagte er. „Aber was die militärische Unterstützung anbelangt, so ist es sicherlich notwendig, diese zu verstärken, insbesondere in einem Kontext, in dem wir nicht sicher sein können, wohin die USA mit ihrer Politik in Bezug auf die russische Aggression gegen die Ukraine steuern.“


Das war die Lehre aus den vergangenen Tagen: Die Europäer waren erst nicht eingebunden in die Gespräche zwischen Trump und Wladimir Putin, ringen nun um einen Platz am Tisch, und in München deutete Vance amerikanische Sicherheitspolitik zwar nur am Rande aus, aber überhaupt nicht im Sinn der Europäer.


Ist das für Europa und seine Verteidigungsfähigkeit ein Moment wie die Bankenkrise für die Währungsunion? Ein Moment größter Dringlichkeit, in dem die EU dann in der Lage ist zu handeln? „Ich würde sagen, es ist ein solcher Moment“, sagte Dombrovskis. „Plötzlich brauchen wir eine Antwort, sowohl auf Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf EU-Ebene. Wir arbeiten daran.“


Im März will die die Kommission ein Weißbuch über die Zukunft der europäischen Verteidigung vorstellen. In München sagte Kommissar Andrius Kubilius aus Litauen, der mit der Außenbeauftragten Kaja Kallas die Feder führt, es werde Vorschläge beinhalten, durch gemeinsame Beschaffung die Zahl der Waffensysteme in Europa zu verringern. Das würde Stückzahlen erhöhen und den Stückpreis deutlich senken, wie man es im Geschäftsleben täte.


„Das ist offensichtlich Teil dieser Arbeit, denn unser Verteidigungssystem ist fragmentiert“, sagte Dombrovskis. „Die Verteidigung ist ein relativ neuer Arbeitsbereich für die Europäische Union. Und in der Tat, die Rationalisierung von Waffensystemen, Interoperabilität, militärische Mobilität, das sind alles Dinge, mit denen man einen großen Beitrag leisten kann, aber auch durch die Finanzierung der Verteidigungsindustrie und der Innovation.“


Eine weitere Zutat nannte Dombrovskis: politischen Willen, das Verbot der Verwendung von EU-Mitteln für Verteidigungsausgaben zu beenden. „Wir müssen einfach politische Entscheidungen treffen, damit die Mittel auch für die Verteidigung zur Verfügung stehen, was bisher nicht der Fall war.“


Das heißt: „Wir schauen uns auch an, welche Möglichkeiten es im EU-Haushalt gibt, sowohl im Hinblick auf den nächsten mittelfristigen Finanzrahmen als auch auf den derzeitigen.“ Die nächste siebenjährige Haushaltsperiode beginnt erst 2028. „Aber wir brauchen jetzt eine Antwort und auch die Möglichkeiten, die wir jetzt haben.“


Die Frage der Möglichkeiten ist auch in der Bundespolitik umstritten, wie im Falle der drei Milliarden Euro für die Ukraine, die der Bundeskanzler nur unter Aufhebung der Schuldenbremse zu stemmen können glaubt. Klar sei Deutschland in absoluten Zahlen der größte Unterstützer der Ukraine in der EU. „Das muss man also anerkennen, und es ist wichtig, dass das so bleibt.“


Was die scheidende Bundesregierung aber nie gern gehört hat: „Relativ gesehen gehört Deutschland jedoch nicht zu den Spitzenreitern. Es besteht die Möglichkeit einer Aufstockung, denn relativ gesehen leisten die baltischen Staaten, Polen, die nordischen Länder und das Vereinigte Königreich einen größeren Beitrag“, sagte Dombrovskis. „So gesehen besteht für Deutschland und eine Reihe großer EU-Volkswirtschaften die Möglichkeit, diese Unterstützung auszuweiten, und sie wird auch dringend benötigt.“

Fast übersehen

4.

Sondersitzung zum jüngsten Anschlag: Der Innenausschuss des Bundestags plant am Mittwoch eine Sondersitzung, berichtete die dpa. Das Gremium verspricht sich mehr Informationen über den Anschlag von München am Donnerstag, bei dem ein Attentäter zwei Menschen tötete und Dutzende verletzte. Die bayerischen Behörden gehen von einem islamistischen Motiv aus, so hatte sich der festgenommene Afghane in Vernehmungen geäußert.


Haltungsfragen: In München wollte auch eine Gruppe AfD-Politiker Blumen für die Opfer niederlegen. Es bildete sich eine Menschenkette, die ihre eigene Trauer hintanstellte, um den AfD-Leuten die ihre abzusprechen und den Zugang zu verwehren. Die Familie der Getöteten verwahrte sich dagegen, dass der Tod ihrer Lieben „instrumentalisiert“ werde, was eine Debatte über politische Folgerungen aus der Tat nicht abwürgen konnte.

5.

Das Fell des Bären: Die AfD hat ein Auge auf den Fraktionssaal der SPD geworfen. Argument: Nach aller Voraussicht werde sie zweitgrößte Fraktion im nächsten Bundestag, da könne sie den zweitgrößten Raum beanspruchen. In ihrem bisherigen würde es tatsächlich eng. „Na klar wollen wir den Fraktionssaal der SPD“, sagte Stephan Brandner, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD. „Das ist gelebte Parlamentsgeschichte“, fand er.


Geschichtsbewusste SPD: Die Partei greift in der Parlamentsgeschichte deutlich weiter aus und wehrt sich nicht zuletzt gegen die gewollte Demütigung, der AfD ausgerechnet den nach Otto Wels benannten Saal überlassen zu sollen, dem Fraktionsvorsitzenden im Reichstag 1933 („Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“). Mehr in der SZ, zuerst berichtete die Rheinische Post.

6.

Einig ohne Bahnstreik: Wenn die Kürze der Tarifverhandlungen bei der Bahn ein Maßstab für Erkenntnis über den Ernst der Lage ist, dann ist sie sehr ernst. Mit der EVG – also der großen Gewerkschaft – hat sich die Bahn auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt, wie beide Seiten am Sonntag mitteilten. Er läuft bis Ende 2027, es gibt 6,5 Prozent mehr Lohn, für Schichtarbeiter ein Zusatzplus von 2,6 Prozent.


Politik beschleunigt Einigung: Beschäftigungssicherung ist die für die gesamte Laufzeit vereinbart. Diese Sicherheit zu haben, war den Arbeitnehmervertretern vor der Bundestagswahl wichtig, angesichts von Plänen der Union zur Aufspaltung des Staatskonzerns.

Unter eins

Wolfgang ist der letzte Rock 'n' Roller im Deutschen Bundestag.

Sigmar Gabriel spricht in einem Grußwort für den Landesparteitag der FDP in Schleswig-Holstein über seinen Traum von einer sozialliberalen Koalition und über Wolfgang Kubicki

Wahlkampf-Monitor am Platz der Republik

Wahlkampf-Monitor am Platz der Republik
in Kooperation mitBundesdatenschau

Zu guter Letzt

Umfragen geben es her, dass man in der Union eine Woche vor der Wahl dieselben Spiele spielen kann, die Kollegen von links seit Jahr und Tag erfreuen: in dem Fall, SPD und Grünen eine Koalitionsneigung mit der Linken und dem BSW nachzusagen, wenn es sich ausginge.


Das war bislang bloß ein Parteisoldaten-Twitterfight, unterhaltsam für die Berliner Blase, aber jetzt hat mit Karin Prien eine Amts- und Mandatsträgerin und stellvertretende CDU-Vorsitzende eingegriffen und „Rot-Grün-Dunkelrot-Lila“ einen „Albtraum“ für Deutschland und die EU genannt.


Eine satisfaktionsfähige Antwort steht noch aus; etwas gefährlich allerdings für auch Prien und Freunde ist der Blick nach Thüringen, wo das BSW in der Regierung sitzt, in einer Koalition unter Führung der CDU. Der Wunsch, die Lager klar zu sortieren, hat Grenzen, die der Wähler setzt.


Danke! An die Kolleginnen in Australien.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier